Europäisches Chemikalienrecht REACH muss verbrauchergerecht werden
21/2005, 28.06.2005
BfR fordert Nachbesserung des <span lang="en">REACH</span>-Entwurfs bei Prüfkonzepten, Verbraucherinformation und dem Einsatz alternativer Testmethoden
„REACH wird das Niveau der Verbrauchersicherheit von Chemikalien und Produkten auch in Deutschland für die nächsten 20 Jahre maßgeblich prägen“, sagte BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel beim ersten BfR-Verbraucherforum in Berlin. „Was jetzt in dem Verordnungsentwurf nicht verankert wird“, so Hensel, „wird auch in den nächsten Jahren keine Berücksichtigung finden.“ Deshalb fordert das Institut, den Verbraucherschutz in REACH noch vor der Lesung des Entwurfs im Europäischen Parlament, im Oktober dieses Jahres, spürbar zu verbessern. Schon seit der Vorlage des Weißbuches im Jahr 2001 setzt sich das BfR für den Verbraucherschutz im europäischen Chemikalienrecht ein. Kernpunkte seiner Forderungen: Eine erweiterte Bewertung verbrauchernaher Chemieprodukte, die Verpflichtung, versuchstierfreie Testmethoden und Prüfstrategien vorrangig einzusetzen, sowie eine deutliche Verbesserung der Verbraucherinformation.
Rund 200 Fachleute von Behörden, Regierung, Wissenschaft, Industrie und Verbänden diskutierten beim ersten BfR-Forum Verbraucherschutz am 23. und 24. Juni über den Stellenwert des Verbraucherschutzes im aktuellen Entwurf zum neuen europäischen Chemikalienrecht REACH. Einer der drei kritischen Themenbereiche beschäftigte sich mit Fragen der Bewertung von Stoffen. Anders als Hersteller und Verarbeiter von Chemikalien kommt der Verbraucher mit Stoffen über eine Vielzahl von Produkten und Gegenständen des täglichen Gebrauchs in Kontakt. Hier sieht das BfR im Entwurf deutliche Defizite. Das Institut fordert daher für alle Chemikalien, die in verbrauchernahen Produkten verwendet werden, unabhängig von der Produktionsmenge einen Mindestdatensatz für die Bewertung möglicher gesundheitlicher Risiken. Vorrangig sollten dabei Informationen zu krebserzeugenden, das Erbgut sowie die Fruchtbarkeit schädigenden Eigenschaften bereitgestellt werden.
Neben Angaben zur Gefährlichkeit eines Stoffes werden für die Bewertung des gesundheitlichen Risikos Daten zur Exposition des Verbrauchers gegenüber Chemikalien benötigt. Bewertungen des BfR haben gezeigt, dass beim Umgang mit Produkten der Kontakt mit dem Stoff typischerweise nicht nur kurzfristig, sondern die Belastung längeranhaltend ist. Die Stoffe erreichen ihn zusätzlich über die Luft, das Wasser oder die Nahrung, da sie bei Produktion und Weiterverarbeitung in die Umwelt freigesetzt werden. Beide Expositionsarten addieren sich und müssen bei der Bewertung des Risikos berücksichtigt werden. Das BfR schlägt deshalb eine systematische Einteilung von Stoffen und Zubereitungen in so genannte „Verwendungs- und Expositionskategorien“ vor, um die Bewertung der Kontaktmöglichkeiten gegenüber Chemikalien zu erleichtern. Mit Aceton beispielsweise kann der Verbraucher über rund 450 Produkte in Kontakt kommen. Aceton findet sich aber verarbeitungsbedingt auch in Luft, Wasser und Nahrung wieder. Eine auf ein einzelnes Produkt beschränkte Betrachtung unterschätzt die Exposition des Verbrauchers. Eine angemessene Bewertung des Risikos von Stoffen muss die Exposition durch verschiedene Verbraucherprodukte wie auch die Exposition bei einer produktionsbedingten Freisetzung über Luft, Wasser und Nahrung berücksichtigen.
Das BfR spricht sich dafür aus, dass der Einsatz alternativer Testverfahren und intelligenter Teststrategien stärker in REACH festgeschrieben wird. Ziel muss es ein, die Basisinformationen ausschließlich durch tierversuchsfreie Methoden zu erhalten, zu denen zusätzlich die Zytotoxizitätsbestimmung an Säugetierzellen gehören sollte. Für alle weiteren Daten sollten so wenig Tiere wie möglich eingesetzt werden. Dies kann neben dem Ersatz durch anerkannte versuchstierfreie Methoden auch durch intelligente Teststrategien mit einer Verringerung der eingesetzten Tierzahlen geschehen. Darüber hinaus fordert das BfR, Daten, die die Industrie mittels alternativer Testmethoden ermittelt hat und bisher ausschließlich für interne Zwecke nutzt, für eine unabhängige Bewertung zugänglich zu machen. Dies würde die Anerkennung tierversuchsfreier Prüfmethoden beschleunigen und ihre Akzeptanz steigern.
Um den Verbraucherschutz durch REACH zu gewährleisten, müssen die Verbraucher mit allgemeinverständlichen Informationen versorgt werden. Der Verbraucher sollte so gut über die tatsächlichen oder vermeintlichen Risiken von Stoffen und Produkten informiert sein, dass er wichtige Entscheidungen zur Wahl der Produkte selbst treffen kann. Da der Verbraucher eher mit Produkten als mit den reinen Stoffen in Kontakt kommt, sind Sicherheitsdatenblätter für chemische Stoffe zur Produktkennzeichnung nicht geeignet. Das BfR schlägt deshalb die Entwicklung von verbrauchergerechten Kennzeichnungen vor.
„Aufgrund der nach Chemikalienrecht geltenden ärztlichen Meldepflicht bei Vergiftungen werden in Deutschland wichtige Stoffinformationen gesammelt, die unbedingt in REACH einfließen sollten“, fordert Hensel. Das Institut setzt sich außerdem für eine unabhängige Risikokommunikation im neuen Chemikalienrecht ein, um die Effektivität und Transparenz des Bewertungsprozesses für den Verbraucher zu verbessern. Das BfR vertritt dabei die Position, dass Sicherheit und Unsicherheit von Risikobewertung und auch Managemententscheidung dem Verbraucher vermittelt werden. Das Institut bemängelt darüber hinaus, dass bei REACH nicht geregelt ist, ob und wie die Informationen dem Verbraucher vermittelt werden. Unnötige Geheimhaltungsbestimmungen müssen daher abgebaut und Datenfriedhöfe vermieden werden. Mehr Informationen zu den Positionen des BfR und zur Veranstaltung finden Sie unter www.bfr.bund.de, Menupunkt Veranstaltungen/ Programme, Abstracts und Manuskripte von früheren Veranstaltungen.