Titandioxid - gibt es gesundheitliche Risiken?
FAQ vom 11. Oktober 2024
Änderungen gegenüber der Version vom 12. Mai 2021: Nach der Aufhebung der Zulassung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff im Jahr 2022 wurden die FAQ grundlegend überarbeitet.
Titandioxid wird weltweit im Millionen-Tonnen-Maßstab produziert. Der Großteil des hergestellten Titandioxids wird in technischen Anwendungsgebieten, wie der Herstellung von Farben, Lacken, Papier und Kunststoffen verwendet. Unter der Bezeichnung CI 77891 ist der Stoff als Weißpigment in Kosmetikprodukten wie z. B. Zahnpasta enthalten. Titandioxid wird zudem als Filter zum Schutz vor ultravioletter Strahlung in Sonnenschutzmitteln eingesetzt. Bis zum Jahr 2022 war Titandioxid auch als Lebensmittelzusatzstoff E 171 zugelassen. Da Bedenken hinsichtlich einer möglichen erbgutschädigenden Wirkung bei der jüngsten Risikobewertung nicht ausgeräumt werden konnten, wurde die Zulassung als Lebensmittelzusatzstoff zum 7. Februar 2022 EU-weit entzogen.
Häufig gestellte Fragen und Antworten zu Titandioxid und potentiellen gesundheitlichen Risiken hat das Bundesinstitut für Risikobewertung in diesen FAQ zusammengestellt.
In welchen Produkten ist Titandioxid enthalten?
Weltweit werden jährlich Millionen Tonnen Titandioxid (EC 236-675-5, CAS 13463-67-7) produziert. Allein in Europa sind es mehr als 1 Million Tonnen pro Jahr. Der mit Abstand größte Anteil wird als Weißpigment für die Herstellung von Lacken, Farben und Druckfarben sowie Kunststoffen und Papier verwendet, ein kleinerer Anteil entfällt auf kosmetische Mittel und Arzneimittel.
Die Zuständigkeit für den Einsatz von Titandioxid in Arzneimitteln liegt beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
In welchen Formen kommt Titandioxid vor?
Titandioxid wird als Pigment oder als Nanomaterial verwendet. Beide Formen sind geschmacksneutral, geruchlos und nicht löslich.
Zur Frage, was überhaupt ein Nanomaterial ist, liegt eine Empfehlung der Europäischen Kommission vor. Die erste Fassung der Empfehlung wurde bei der Anpassung der Anhänge zur REACH Verordnung (Regulation concerning the Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals), die zum 01.01.2020 in Kraft traten, berücksichtigt. Darin sind Nanoformen von Substanzen definiert.
Titandioxid in Nanoform ist kommerziell überwiegend in zwei unterschiedlichen kristallinen Formen (Anatas oder Rutil) erhältlich. Ein Material, das häufig als Prüfmaterial v. a. in Inhalations-Toxizitätsstudien eingesetzt worden ist (Bezeichnung „P25“), ist ein 80/20-Gemisch von Anatas und Rutil. Kommerzielle Nanoformen können zudem oberflächenbehandelt sein. Häufig kommt beispielsweise eine passivierende Schutzbeschichtung der Partikeloberfläche zum Einsatz.
Gezielt in Nanoform hergestelltes Titandioxid findet in einigen verbrauchernahen Produkten Verwendung. Hier nutzt man vor allem die hohe Filterwirkung zum Schutz vor ultravioletter Strahlung, die transparenten Eigenschaften der Nanoformen sowie Vorteile bei der Verarbeitung.
Ausgewählte Fragen und Antworten zu Nanomaterialien finden sich hier.
Wie kann Titandioxid aufgenommen werden?
Bei einer Bewertung der gesundheitlichen Risiken eines Stoffes müssen alle wichtigen Aufnahmewege betrachtet werden, also die Aufnahme über die Haut (dermal), die Atemwege (inhalativ) oder über den Verdauungstrakt (oral).
Im Fall von Titandioxid wird aus Sicht der Risikobewertung vor allem das Einatmen von feinen Titandioxid-Partikeln und insbesondere von Nanopartikeln als gesundheitlich kritisch angesehen, da diese in Tierstudien zum Teil tief in die Lunge eindringen und chronische Entzündungen hervorrufen können. In Ratten führte das Einatmen extrem hoher Titandioxid-Konzentrationen über einen sehr langen Zeitraum (über die gesamte Lebenszeit der Tiere) zur Bildung von Lungentumoren. Ob diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, ist zurzeit Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion (s. u. „Bewertung von Titandioxid im Rahmen der europäischen Chemikalienregulationen“).
Die orale Aufnahme von Titandioxid wurde bei der gesundheitlichen Bewertung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff E 171 durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) berücksichtigt. Die Risikobewertung war Grundlage für den EU-weiten Entzug der Zulassung im Jahr 2022. Auch für die Beurteilung von Titandioxid als Bestandteil von Lebensmittelkontaktmaterialien wurden entsprechende Daten herangezogen.
Über die Haut, z. B. über Hautpflegeprodukte, wird Titandioxid nach aktuellem Stand des Wissens nicht aufgenommen.
Einen speziellen Fall stellt die Aufnahme von Titandioxid über Tätowiermittel dar. Titandioxid wird in Tätowiermitteln und Permanent Make-up als Weißpigment bzw. in Mischung mit Pigmenten zur Erzeugung bestimmter Farbtöne verwendet. Die Kristallform, die in Tätowiermitteln überwiegend verwendet wird, ist Rutil.
Welche gesetzlichen Regelungen gelten für die Verwendung von Titandioxid in kosmetischen Mitteln?
Zur Verwendung in kosmetischen Mitteln ist Titandioxid in zwei Positivlisten der EU-Kosmetikverordnung (EU-KVO, Verordnung (EG) Nr. 1223/2009) aufgeführt, und zwar in der Liste der Farbstoffe (Anhang IV der EU-KVO) und in der Liste der Filter zum Schutz vor ultravioletter Strahlung (Anhang VI der EU-KVO).
In UV-Filtern wird nanoskaliges und nicht-nanoskaliges Titandioxid verwendet. Die transparente Erscheinung der Nanoform ist bei der Auftragung auf die Haut von Vorteil. Derzeit sind nur bestimmte Nanoformen von Titandioxid als UV-Filter in der aktuell gültigen Fassung der Kosmetikverordnung in Anhang VI gelistet. Die Aufnahme eines Stoffes in die Positivlisten der EU-KVO erfolgt auf Basis einer Sicherheitsbewertung des Stoffes durch das wissenschaftliche Experten-Komitee der EU-Kommission, das Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS, Wissenschaftlicher Ausschuss Verbrauchersicherheit). Titandioxid (Nano) darf nicht in solchen Sonnenschutzsprays verwendet werden, in denen Partikel enthalten sind, die aufgrund ihrer geringen Größe über das Lungenepithel inhalativ aufgenommen werden können.
Titandioxid wird auch als Pigment eingesetzt, z. B. in Zahnpasta. Gemäß einer wissenschaftlichen Empfehlung des SCCS an die EU-Kommission wird sich das Komitee mit dieser Verwendung noch mal beschäftigen, sobald die Industrie neue Daten zur Spezifikation und zum toxikologischen Profil der in diesen Produkten eingesetzten Titandioxid-Qualitäten vorgelegt hat.
Bei den als UV-Filter verwendeten Titandioxid-Qualitäten (s. o.) handelt es sich um andere Materialien (Partikelgrößenverteilung, Beschichtung etc.); diese Materialien sind nicht Gegenstand der Neubewertung.
Welche gesetzlichen Regelungen gelten für die Verwendung von Titandioxid in Bedarfsgegenständen ohne Lebensmittelkontakt?
Aufgrund seiner günstigen Materialeigenschaften (chemische und thermische Stabilität, Lichtbeständigkeit, hohes Deckvermögen als Weißpigment) wird Titandioxid in verschiedenen Materialien eingesetzt, die in Verbraucherprodukten vorkommen. So wird es als Weißpigment sowie als strukturgebende Komponente von Farbpigmenten für Farben und Lacke verwendet. Es wird für Dekore auf Papier und Porzellan sowie für die Pigmentierung von Textilien und Leder eingesetzt. In Kunststoffen wird es zur Beschichtung, Einfärbung oder als Stabilisator (Schutz vor ultravioletter Strahlung) verwendet. Weitere Beispiele für Titandioxid-enthaltende Materialien sind Keramiken und Glaswaren. Charakteristisch für diese Materialanwendungen ist, dass das Titandioxid in eine feste Matrix eingebunden und eine Freisetzung dadurch begrenzt ist.
Für Bedarfsgegenstände ohne Lebensmittelkontakt existieren keine spezifischen gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Verwendung von Titandioxid. Es sind grundsätzlich alle Hersteller durch die Europäische Produktsicherheitsrichtlinie bzw. durch die ab 13. Dezember 2024 geltende Verordnung (EU) 2023/988 über die allgemeine Produktsicherheit verpflichtet, die Sicherheit ihrer Produkte zu garantieren.
So ist es nach § 30 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) verboten, Bedarfsgegenstände für andere derart herzustellen oder zu behandeln, dass sie bei bestimmungsgemäßem oder vorauszusehendem Gebrauch geeignet sind, die Gesundheit durch ihre stoffliche Zusammensetzung, insbesondere durch toxikologisch wirksame Stoffe oder durch Verunreinigungen, zu schädigen.
Für Spielzeug gelten die allgemeinen Sicherheitsanforderungen der Europäischen Spielzeugrichtlinie 2009/48/EG. Demnach dürfen Spielzeuge, einschließlich der darin enthaltenen chemischen Stoffe, bei bestimmungsgemäßem oder vorhersehbarem Gebrauch und unter Berücksichtigung des Verhaltens von Kindern die Sicherheit nicht gefährden. Als Folge der harmonisierten Einstufung von Titandioxid nach der CLP-Verordnung, die auch Gemische in Pulverform mit einem Gehalt von mindestens 1 % Titandioxid in Partikelform mit einem aerodynamischen Durchmesser von ≤ 10 µm umfasst, als vermutlich krebserzeugend (Kategorie 2) beim Einatmen hat die EU-Kommission am 20.11.2020 dem Wissenschaftlichen Ausschuss für Gesundheit, Umwelt- und neu aufkommende Risiken (SCHEER) das Mandat für die Sicherheitsbewertung von Titandioxid in Spielzeug erteilt. Als vermutlich krebserzeugend (Kategorie 2) eingestufte Stoffe und Gemische dürfen in Spielzeug nur bis zu einem Gehalt von 1 % eingesetzt werden. Im Gutachten des SCHEER wurden unter Berücksichtigung verschiedener Expositionsszenarien Verwendungen mit keinem bzw. vernachlässigbarem Risiko in Bezug auf feine sowie ultrafeine Titandioxidpartikel identifiziert. Für diese Verwendungen werden derzeit mögliche Ausnahmen in der Spielzeugrichtlinie erörtert.
Welche gesetzlichen Regelungen gelten für die Verwendung von Titandioxid in Lebensmittelkontaktmaterialien?
Für alle Lebensmittelkontaktmaterialien gilt die sogenannte europäische Rahmen-Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 „über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen“. Sie legt fest, dass Materialien und Gegenstände nach guter Herstellungspraxis so herzustellen sind, dass sie unter den normalen oder vorhersehbaren Verwendungsbedingungen keine Bestandteile auf Lebensmittel in Mengen abgeben, die geeignet sind:
- die menschliche Gesundheit zu gefährden oder
- eine unvertretbare Veränderung der Zusammensetzung der Lebensmittel herbeizuführen oder
- eine Beeinträchtigung der organoleptischen Eigenschaften der Lebensmittel herbeizuführen (Geruch, Geschmack etc.).
Artikel 5 der genannten Verordnung sieht zudem den Erlass sogenannter „Einzelmaßnahmen“ für bestimmte Gruppen von Materialien und Gegenständen vor. Im Zuge einer solchen Einzelmaßnahme ist Titandioxid entsprechend der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 für die Verwendung in Lebensmittelkontaktmaterialien aus Kunststoff zugelassen. Titandioxid ist in dieser Verordnung rein und oberflächenmodifiziert in verschiedenen Formen gelistet. Titandioxid in „Nanostruktur“ darf nur in einer bestimmten oberflächenmodifizierten Form verwendet werden, für die im Rahmen des Zulassungsantrags gezeigt wurde, dass keine Freisetzung des Titandioxids stattfindet.
Regelungen zu anderen für Titandioxid relevanten Materialgruppen sind auf europäischer Ebene nicht vorhanden. Im Rahmen der „BfR-Empfehlungen zu Materialien für den Lebensmittelkontakt“ ist Titandioxid (in Nanoform, nicht identisch mit dem früher zulässigen Lebensmittelzusatzstoff E 171) in der Empfehlung XV „Silicone“ (z. B. Silikonbackformen) als Hitzestabilisierungsmittel (maximal 3 %) gelistet (BfR, 2018). Es erfolgt kein Übergang von Titandioxid aus dem Silikon in Lebensmittel mit einer Nachweisgrenze von 1,8 Mikrogramm (μg)/Kilogramm (kg) Lebensmittel.
Bewertung von Titandioxid im Rahmen der europäischen Chemikalienregulationen
Titandioxid wurde im Rahmen der europäischen Chemikalienregulationen begutachtet. Eines der Verfahren sieht die sogenannte EU-weite harmonisierte Einstufung nach der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung („CLP-Verordnung“) vor, die im Februar 2020 abgeschlossen wurde. Das zweite Verfahren befasst sich mit der Stoffbewertung von Titandioxid im Rahmen der europäischen Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals; EU -Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, (EG) Nr. 1907/2006). Beide Regulierungsprozesse wurden von Frankreich initiiert. Beide Verfahren unterscheiden nicht explizit zwischen dem herkömmlichen Titandioxid (Pigment) und Titandioxid in Nanoform. Vielmehr umfasst der Geltungsbereich der betreffenden EU-Verordnungen alle Formen von Titandioxid.
Harmonisierte Einstufung nach CLP-Verordnung (VO (EG) Nr. 1272/2008)
Industriechemikalien mit besonders gefährlichen Stoffeigenschaften (z. B. erbgutschädigend, krebserzeugend oder die Fortpflanzung schädigend) werden nach „CLP-Verordnung“ EU-weit eingestuft. Hierbei handelt es sich um eine harmonisierte Legaleinstufung, die im Europäischen Wirtschaftsraum rechtsverbindlich für Hersteller, Importeure und Verwender des Stoffes als solches und für den Stoff in Gemischen gilt. Sofern allgemeine, bzw. wenn vorhanden, spezifische Konzentrationsgrenzen des harmonisiert eingestuften Stoffes (bzw. der harmonisiert eingestuften Stoffe) in Gemischen überschritten werden, müssen diese Gemische gemäß der Legaleinstufung(en) gekennzeichnet werden.
Eine harmonisierte CLP-Einstufung ist anwendungsoffen, d. h. sie kann für alle auf dem EU-Markt befindlichen Chemikalien erfolgen, und sofern nicht eingegrenzt, schließt sie alle Formen eines Stoffes ein. Bezugnahmen auf die Einstufung erfolgen in unterschiedlichen Rechtsnormen; das Vorhandensein einer harmonisierten CLP-Einstufung und insbesondere die höheren Einstufungskategorien (z. B. Karzinogen Kategorie 1B, „Kann Krebs erzeugen“) lösen z. T. einschneidende Rechtsfolgen und verschiedene Maßnahmen zur Risikominderung in anderen Rechtsbereichen außerhalb des Chemikalienrechts aus (z. B. Produkt-, Kosmetik-, Spielzeug-, Abfallrecht).
Titandioxid hat das Einstufungsverfahren gemäß CLP-Verordnung aufgrund möglicher Gefahren bzgl. der Karzinogenität nach Einatmen des Stoffes durchlaufen. Auslöser war ein entsprechender Vorschlag, der im Jahr 2015 von Frankreich eingereicht und im Jahr 2017 durch den Ausschuss für Risikobewertung (RAC) bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zum Teil bestätigt wurde. Gemäß der RAC-Meinung ist Titandioxid als vermutlich krebserzeugend für den Menschen beim Einatmen der Stäube des Stoffes anzusehen. Dementsprechend hat die EU-Kommission im Oktober 2019 eine Einstufung und Kennzeichnung beschlossen, wonach Titandioxid [in Pulverform mit mindestens 1 % Partikeln mit aerodynamischem Durchmesser ≤ 10 µm] beim Einatmen vermutlich krebserzeugend ist (Karzinogen Kategorie 2, H351i).
Im Februar 2020 wurde die vorgeschlagene Einstufung von Titandioxid im Rahmen der 14. ATP (Adaption to technical progress) verabschiedet und die betreffende Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2020/217 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Die Umsetzung der Einstufung wurde somit zum 09.09.2021 verbindlich; eine Hilfestellung zur Anwendung der harmonisierten Einstufung ist beim nationalen REACH-CLP-Biozid Helpdesk veröffentlicht. Im Jahr 2020 wurde die harmonisierte Einstufung von Titandioxid jedoch durch mehrere Industrievertreter vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten. Im November 2022 entschied das Gericht, dass die harmonisierte Einstufung von Titandioxid-Stäuben als karzinogen beim Einatmen annulliert werden muss. Die Gründe für die Streichung der harmonisierten Einstufung können hier eingesehen werden: https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=268096&pageIndex=0&doclang=EN&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=2303522.
Im Frühjahr 2023 legten Frankreich und die europäische Kommission Widerspruch[1] gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ein. Dadurch bleibt die Einstufung vorläufig weiterhin gültig. Eine Anhörung zum Sachverhalt soll im Jahr 2024 stattfinden und eine finale Entscheidung zur harmonisierten Einstufung von Titandioxid in Pulverform als Karzinogen beim Einatmen wird für das Jahr 2025 erwartet.
Stoffbewertung im Rahmen der REACH-Verordnung
Die Stoffbewertung im Rahmen der REACH-Verordnung (EG 1907/2006) dient dazu, einen Anfangsverdacht hinsichtlich eines Risikos eines Stoffes für die Gesundheit oder die Umwelt zu prüfen sowie für die Beurteilung eines Risikos relevante, aber fehlende Informationen vom Hersteller oder Importeur des Stoffes zu fordern und ggf. einen Handlungsbedarf zur Risikominderung zu ermitteln. Die Initiative für eine Stoffbewertung liegt i. d. R. bei den Behörden der EU-Mitgliedsstaaten.
Im Jahr 2018 initiierte die zuständige französische Behörde (ANSES) eine Stoffbewertung der verschiedenen Formen von Titandioxid aufgrund einer uneindeutigen Datenlage bzgl. der potentiellen genotoxischen Eigenschaften der verschiedenen Formen (inklusive verschiedener Nanoformen). Die initiale Bewertung ergab, dass relevante Daten für eine abschließende Bewertung der potentiellen Genotoxizität der verschiedenen Formen von Titandioxid fehlen, welche durch die REACH-Registranten des Stoffes erbracht werden müssen. Eine entsprechende Studienforderung wurden den Registranten im Juli 2021 zugestellt. Der Eingang dieser Daten wird für 2024 erwartet. Nach Eingang der geforderten Informationen erfolgt eine Bewertung der neuen Datenlage durch Frankreich.
Ist Titandioxid als Futtermittelzusatzstoff zugelassen?
Die Verwendung als Futtermittelzusatzstoff wurde mit der Durchführungsverordnung (EU) 2021/2090 der Kommission vom 25. November 2021 für alle Tierarten aus Sicherheitsgründen nicht mehr zugelassen. Mit dieser Durchführungsverordnung wurde in der Europäischen Union für Titandioxid als Futtermittelzusatzstoff und Vormischung sowie für mit dem Zusatzstoff oder den Vormischungen hergestellte Futtermittel die Rücknahme vom Markt ab dem 20. März 2022, respektive 20. Juni 2022 festgelegt.
Warum ist Titandioxid in der EU nicht mehr als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen?
Bis zum 6. Februar 2022 war Titandioxid gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 als Lebensmittelzusatzstoff E 171 in der EU zugelassen. Mit Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2022/63 zum 7. Februar 2022 wurde diese Zulassung aufgehoben. In dieser Verordnung sind auch Übergangsfristen geregelt.
Grundlage für die Entscheidung war eine Neubewertung möglicher gesundheitlicher Risiken im Zusammenhang mit der Verwendung von E 171 durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Das Ergebnis dieser Bewertung wurde am 06. Mai 2021 veröffentlicht. Demnach konnte der Verdacht bezüglich erbgutschädigender Wirkungen (Genotoxizität) von Titandioxid nicht entkräftet werden, eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge (ADI) konnte durch die EFSA nicht abgeleitet werden. Entsprechend sah die EFSA die Verwendung von E 171 als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr als sicher an.
Gestützt auf das wissenschaftliche Gutachten der EFSA hat die Europäische Kommission ein Verbot für die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff (E 171) erlassen. Die EU-Staaten hatten einen entsprechenden Vorschlag der Kommission im Oktober 2021 einstimmig gebilligt.
Sind gesundheitliche Beeinträchtigungen für Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Verwendung von Titandioxid in kosmetischen Mitteln zu erwarten?
Es gibt aktuell keine Hinweise, dass bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben der Einsatz von Titandioxid in kosmetischen Mitteln für Verbraucherinnen und Verbraucher gesundheitsschädlich ist. Dermal, also über die Haut, wird Titandioxid nicht aufgenommen, dementsprechend auch nicht durch das Auftragen Titandioxid-haltiger Hautpflegeprodukte. Die Aufnahme über die Haut hat das Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS; Wissenschaftlicher Ausschuss Verbrauchersicherheit) im Rahmen mehrerer Stellungnahmen zu Titandioxid-Nanopartikeln in Sonnenschutzmitteln nach derzeitigem Stand des Wissens als unbedenklich bei Auftragen sowohl auf intakte als auch auf Sonnenbrand-geschädigte Haut angesehen. Die inhalative Aufnahme von Titandioxid-Nanopartikeln, bei der es zu einer Exposition der Lunge des Verbrauchers mit Titandioxid-Nanopartikeln kommt, ist durch den SCCS als gesundheitlich bedenklich bewertet worden (SCCS/1516/13; SCCS/1583/17). Deshalb wurde Titandioxid (Nano) in Anwendungen, die durch Inhalation zur Exposition der Lunge des Endverbrauchers führen können, in der EU-Kosmetikverordnung verboten.
Die Verwendung von Titandioxid in oralen Kosmetikprodukten wie Zahnpasta wird vom SCCS neu begutachtet werden, sobald die Industrie neue Daten zur Spezifikation und zum toxikologischen Profil der in diesen Produkten eingesetzten Titandioxid-Qualitäten vorgelegt hat.
Sind gesundheitliche Beeinträchtigungen für Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Verwendung von Titandioxid in Lebensmittelkontaktmaterialien zu erwarten?
Vor der Aufnahme von Titandioxid in die BfR-Empfehlung XV (Silikone) hat das BfR auf der Grundlage eingereichter analytischer Daten sowie der Bewertung durch die EFSA (EFSA, 2016; EFSA, 2018) eine gesundheitliche Bewertung der geplanten Verwendung durchgeführt. Das BfR kam insgesamt zu der Einschätzung, dass die Verwendung von Titandioxid (nicht identisch mit E 171) in Lebensmittelkontaktmaterialien aus Silikon, wie in der BfR-Empfehlung XV angegeben, kein gesundheitliches Risiko darstellt (BfR, 2018). Dies beruht zum einen auf dem Ergebnis analytischer Untersuchungen, demzufolge kein Übergang von Titandioxid aus dem Silikon in Lebensmittel stattfindet (bei einer sehr niedrigen Nachweisgrenze von 1,8 μg/kg Lebensmittel). Zum anderen wurde das für die Verwendung in Silikon beantragte Titandioxid als nach oraler Aufnahme nicht krebserregend bewertet (BfR, 2018). Als Schlüsselstudie wurde eine Untersuchung des „National Cancer Institutes“ (NCI) des „U.S. Department of Health and Human Services“ an Ratten und Mäusen angesehen, in der bis zur höchsten verabreichten Dosis (50 g/kg Futter, entspricht etwa 2250 mg/kg Körpergewicht/Tag) keine Unterschiede zur Kontrollgruppe in Art und Anzahl tumorartiger und nicht-tumorartiger Gewebeschädigungen festgestellt wurden (NCI, 1979). Es gibt laut der am 6. Mai 2021 veröffentlichten Bewertung der EFSA keine neue relevante Studie.
Bei der Verwendung von Titandioxid in Lebensmittelkontaktmaterialien aus Kunststoff entsprechend Verordnung (EU) Nr. 10/2011 wird das Titandioxid wie beim Silikon als Feststoff in die Polymermatrix eingebaut. Die an einigen ausgewählten Materialien verfügbaren experimentellen Daten sowie Modellierungsstudien (EFSA 2019b) kamen zu dem Ergebnis, dass wie beim Silikon eine Freisetzung von Titandioxid aus dem Kunststoff ins Lebensmittel nicht oder in sehr geringem Maße stattfindet. Ein Gesundheitsrisiko ist entsprechend sehr unwahrscheinlich.
Sind gesundheitliche Beeinträchtigungen für Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Verwendung von Titandioxid in Tätowiermitteln zu erwarten?
Bislang sind keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen bekannt, die mit der Exposition gegenüber Titandioxid-haltigen Pigmenten in Tätowiermitteln in Zusammenhang stehen. Fragen und Antworten speziell zu Tätowiermitteln sind in den FAQ des BfR vom 6. Januar 2022 und vom 12. Oktober 2017 zu finden.