Fragen und Antworten zur chemischen Dekontamination von Geflügelfleisch

FAQ des BfR vom 21. März 2017

Geflügelfleisch ist relativ häufig im Vergleich zu anderen Lebensmitteln mit Krankheitserregern wie Campylobacter oder Salmonellen belastet, die beim Menschen Magen-Darm-Erkrankungen verursachen können. Die Erreger besiedeln oftmals bereits die lebenden Tiere oder können beim Schlachten, Zerlegen und Behandeln der Schlachtkörper durch Kreuzkontamination auf das Fleisch übertragen werden.

Um Infektionen zu vermeiden, die durch belastete Lebensmittel übertragen werden, sollte von der Aufzucht der Tiere über den Schlachtprozess bis zum Vertrieb ein ganzheitliches Hygienekonzept verfolgt werden. Dort wo diese Vermeidungsstrategien nicht ausreichen, könnte der Einsatz von Dekontaminationsmaßnahmen diese Strategien unterstützen.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat im Folgenden Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt.

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Welche Bedeutung haben in Deutschland Infektionen, die durch Krankheitserreger in Geflügelfleisch verursacht werden?

Das Vorkommen von Krankheitserregern wie Salmonellen oder Campylobacter spp. ist eine Gesundheitsgefahr für Verbraucher. In den vergangenen Jahren verzeichnete das Robert Koch-Institut (RKI) beispielsweise eine steigende Anzahl an Campylobacter-Erkrankungen in Deutschland: Im Jahr 2013 wurden dem RKI mehr als 63.500, 2014 gut 71.000 und 2015 etwa 70.000 Campylobacteriosen gemeldet (http://www.rki.de/jahrbuch).

Die Erkrankungen können vielfach auf den Verzehr von kontaminiertem Geflügelfleisch zurückgeführt werden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ermittelte für 2010 aus den Daten zurückliegender Untersuchungen, dass ca. 20 bis 30 % der humanen Campylobacteriosen auf den Verzehr von Geflügelfleisch zurückzuführen waren und ca. 50 bis 80 % aller Erkrankungsfälle im Zusammenhang mit Geflügel standen.

Welche rechtlichen Regelungen hat die EU-Kommission bislang getroffen, um das Vorkommen von Krankheitserregern auf Geflügelfleisch zu verringern?

Die Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel gelten auch für Geflügelfleisch. So ist in dieser Verordnung ein Lebensmittelsicherheitskriterium für Salmonella Enteritidis und Typhimurium enthalten, wobei diese beiden Salmonellen-Serovare bei einem Stichprobenumfang von n=5 in 25 g des untersuchten Fleisches nicht enthalten sein dürfen.

Darüber hinaus wird derzeit EU-weit über die Einführung eines Prozesshygienekriteriums für Campylobacter spp. diskutiert, um die hohen Erkrankungszahlen aufgrund von Campylobacter spp. zu senken. Damit soll vermieden werden, dass Geflügelfleisch mit hohen Keimzahlen an Campylobacter pro g Fleisch in den Verkauf gelangt. Sollten dennoch hohe Campylobacter-Gehalte nachgewiesen werden, ist der Lebensmittelunternehmer zur Verbesserung der Hygiene verpflichtet.

Welche Möglichkeiten gibt es für Lebensmittelunternehmer, die Geflügelfleischhygiene zu verbessern?

Parallel zu den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 und zur Einführung eines Prozesshygienekriteriums für Campylobacter spp. wird seit vielen Jahren über weitere effektive Maßnahmen in der Geflügelfleischhygiene diskutiert, wobei die Lebensmittelunternehmer schon jetzt verpflichtet sind, den Schlachtprozess unter den bestmöglichen hygienischen Bedingungen durchzuführen.

Bislang werden mehrere Strategien verfolgt, um gegen krankmachende Mikroorganismen in und auf Geflügelfleisch vorzugehen, dazu gehören:

  • höchste Sorgfalt bei der Aufzucht und Mast von Geflügel,
  • hygienische Bedingungen beim Transport, der Betäubung, dem Brühen, dem Rupfen, dem Ausweiden und bei den weiteren Schlachtschritten,
  • eine schnelle und effektive Kühlung,
  • eine zielgerichtete Reinigung und Desinfektion von Schlachtmaschinen und Schlachtausrüstung mit Produktkontakt,

Innerhalb des Forschungsverbundprojektes EsRAM, an dem auch das BfR beteiligt ist, wird derzeit auch untersucht, welche Maßnahmen eines ganzheitlichen Hygienekonzepts zu einer deutlichen Reduktion der Keimbelastung führen.

Warum wird in der EU über Dekontaminationsverfahren für Geflügelfleisch diskutiert?

Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die bisherigen Hygienemaßnahmen nicht ausgereicht haben, um insbesondere das Vorkommen von Campylobacter spp. auf Geflügelfleisch zu senken. Verbraucher erwarten, dass Lebensmittel sicher und gesundheitlich unbedenklich sind. Dennoch kann eine mikrobielle Belastung der Lebensmittel nicht immer ausgeschlossen werden. Dabei scheinen Maßnahmen der Küchenhygiene zum Schutz vor Lebensmittelinfektionen nicht ausreichend beachtet zu werden, wie Statistiken der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zeigen: Demnach wurden beispielsweise 2015 fast 230.000 humane Campylobacteriose-Fälle in der EU gemeldet. 31 % der gemeldeten Fälle mussten stationär behandelt werden, wobei die Erkrankung überwiegend im eigenen Haushalt erworben wurde.

EFSA (European Food Safety Authority) and ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control), 2016. The European Union summary report on trends and sources of zoonoses, zoonotic agents and food-borne outbreaks in 2015. EFSA Journal 2016;14(12): 4634

http://ecdc.europa.eu/en/publications/publications/zoonoses-trends-sources-eu-summary-report-2014.pdf  

Was versteht man unter dem Begriff „chemische Dekontamination“ von Geflügelfleisch?

Mit dem Begriff der „chemischen Dekontamination“ von Lebensmitteln ist der Einsatz von antimikrobiellen Stoffen wie Chlordioxid oder Peroxyessigsäure gemeint, die zur Reduzierung des Keimgehaltes von Salmonellen oder Campylobacter eingesetzt werden können.

Ist die Dekontamination von Geflügelfleisch derzeit in der EU erlaubt?

Derzeit ist lediglich die Verwendung von Trinkwasser zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen auf Geflügelfleisch zugelassen. Dekontaminationsmittel sind für Geflügelfleisch bislang nicht erlaubt.

Welchen Vorschlag hat die EU-Kommission zur Dekontamination von Geflügelschlachtkörpern und -fleisch vorgelegt?

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, zur Verbesserung der Geflügelfleischhygiene die Verwendung von Peroxyessigsäure zur Dekontamination von Geflügelschlachtkörpern und-fleisch als zusätzliche Maßnahme unter vorgegebenen Bedingungen zu erlauben.

Um einer Resistenzentwicklung und Rückstandsbildung vorzubeugen, schreibt der EU-Vorschlag zudem für den Einsatz von Peroxyessigsäure entsprechende Konzentrationen und Einwirkzeiten vor und gibt Kontrollparameter an, die den Lebensmittelunternehmer zum Monitoring der von ihm getroffenen Hygienemaßnahmen sowie der Dekontaminationsmaßnahmen im Rahmen des HACCP-Verfahrens verpflichten.

Der EU-Vorschlag betont bereits in den Erwägungsgründen die Bedeutung von „konventionellen“ Hygienemaßnahmen bei der Erzeugung von Geflügelfleisch. Diese Hygienemaßnahmen im Sinne eines Hürdenkonzeptes seien nach wie vor von allergrößter Bedeutung und Dekontaminationsmaßnahmen könnten diese nicht ersetzen. Vielmehr sollten konventionelle Hygieneanforderungen und -möglichkeiten über den gesamten Haltungs-, Mast,- Transport- und Schlachtprozess mit einem zusätzlichen Dekontaminationsverfahren verknüpft werden.

Geht von der Verwendung von chemischen Dekontaminationsmitteln auf Geflügelschlachtkörpern ein Gesundheitsrisiko für Verbraucher aus?

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat sich 2014 mit der Dekontamination von Geflügelschlachtkörpern befasst. Sie bewertete die Sicherheit und Wirksamkeit von Peroxyessigsäure als Dekontaminationsmittel mit dem Ergebnis, dass das Verfahren eine geeignete zusätzliche Reduktionsmöglichkeit für krankmachende Erreger darstellt. Bei Anwendung von Peroxyessigsäure zur Reduzierung der Keimbelastung auf Geflügelschlachtkörpern und Geflügelfleisch sind aus toxikologischer Sicht Gesundheitsrisiken für den Verbraucher nicht zu erwarten.

http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/140326.

Wie werden Dekontaminationsmittel auf Lebensmitteln gesundheitlich bewertet?

Eine toxikologische Bewertung von Dekontaminationsmitteln für Fleisch wird prinzipiell ähnlich vorgenommen wie bei Verarbeitungshilfsstoffen (processing aids), Lebensmittelzusatzstoffen oder Bioziden, zu denen auch die Desinfektions- und Dekontaminationsmittel gehören.

Im Detail gelten für diese Stoffe jedoch unterschiedliche Prüfanforderungen und Bewertungskriterien. Für Verarbeitungshilfsstoffe existieren bislang keine speziellen Prüfanforderungen, während die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für Dekontaminationsmittel einen Leitfaden mit Bewertungskriterien vorgelegt hat.

http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_documents/1544.pdf

Welche rechtlichen Vorgaben gelten für den Einsatz von Dekontaminationsmitteln?

Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 mit spezifischen Vorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs sieht in Artikel 3 Absatz 2 vor, dass neben Trinkwasser nur solche Stoffe zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen verwendet werden dürfen, wenn deren Verwendung von der EU KOM genehmigt wurde. So sind in der EU bereits Dekontaminationsmittel für die Anwendung auf anderen Fleischsorten und Lebensmitteln wie z. B. der Einsatz von Milchsäure auf Rinderschlachthälften zugelassen.

Welche Anforderungen müssen Dekontaminationsmittel erfüllen, um bei Geflügelfleisch zur Anwendung zu kommen?

Grundsätzlich gilt, dass das ideale Dekontaminationsmittel gegenüber Bakterien ein breites Wirkungsspektrum oder eine hohe selektive Wirkung aufweist.

Das ideale Dekontaminationsmittel sollte eine schnelle und irreversible Wirkung in der Gebrauchsverdünnung zeigen und einen geringen Wirkungsverlust durch Milieueinflüsse (beispielsweise Eiweiß, pH-Wert oder Temperatur) haben. Weiterhin sollte das Mittel unbedenklich für Mensch und Tier sein. Es sollte zudem die Oberflächen der Lebensmittel nicht negativ beeinflussen und gute Anwendungseigenschaften haben.

Kann es bei der Anwendung von chemischen Dekontaminationsmitteln zu Resistenzentwicklungen kommen?

Eine mögliche Resistenzentwicklung von Bakterien auf Wirkstoffe, die bei Dekontaminationsverfahren angewendet werden, wird allgemein genauso kritisch gesehen, wie die Resistenzentwicklung von Bakterien auf Wirkstoffe, die zur Desinfektion eingesetzt werden. Dabei ist nicht nur die Resistenzentwicklung gegen die betreffende Substanz zu berücksichtigen, sondern es besteht auch die Gefahr, dass die krankmachenden Keime auch resistent gegen bestimmte Antibiotika (Kreuzresistenz) werden können.

Um einer Resistenzentwicklung von Keimen gegen Peroxyessigsäure vorzubeugen, schreibt der EU-Vorschlag für die Anwendung dieses Stoffes zur Dekontamination die notwendigen Konzentrationen und die Einwirkzeiten vor und gibt im Rahmen der betrieblichen Eigenkontrollsysteme Parameter vor, die den Lebensmittelunternehmer zum Monitoring verpflichten.

Die EFSA hat dazu 2014 ein Gutachten veröffentlicht: http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/140326.

Hat der Einsatz von chemischen Dekontaminationsmitteln Auswirkungen auf die Qualität von Fleisch?

Mit der Anwendung von Dekontaminationsverfahren können je nach verwendeter Substanz neben den erwünschten hygienischen Effekten auch unterschiedliche sensorische Qualitätsabweichungen wie Farb-, Aroma- und Strukturveränderungen auftreten. Für die Akzeptanz solcher Abweichungen ist die Zweckbestimmung des behandelten Fleisches entscheidend. Die bei Dekontaminationsmaßnahmen beschriebenen Farbveränderungen werden durch das Verfahren selbst und die Matrix (Muskel, Fett, Sehnen etc.) bestimmt. Muskelgewebe kann z. B. nach einer Behandlung vergrauen, verblassen oder bräunliche Farbabweichungen annehmen. Auch das Aroma kann sich unter dem Einfluss von Dekontaminationsmitteln verändern. Die reduzierte (Verderbnis-)Keimflora kann zwar zu einer verlängerten Haltbarkeit durch das spätere Einsetzen des bakteriellen Verderbs führen, andererseits kann aber auch das Fett schneller durch Oxidationsprozesse ranzig werden.

Dem BfR sind allerdings bislang keine Untersuchungsergebnisse zu sensorischen Veränderungen von Geflügelfleisch infolge einer Behandlung mit Peroxyessigsäure bekannt.

Wie beurteilt das BfR die Anwendung von chemischen Dekontaminationsmitteln auf Geflügel?

Aus Sicht des BfR ist die alleinige Anwendung von chemischen Stoffen zur Gewinnung eines „keimarmen“ Lebensmittels für die Verbesserung der Lebensmittelsicherheit nicht ausreichend. Die chemische Dekontamination ist allenfalls ein weiterer Baustein in einer Reihe notwendiger Maßnahmen, an deren Anfang die gute Hygiene im Geflügelbestand und im Schlachthof mit dem Ziel einer möglichst geringen Belastung mit Krankheitserregern steht.

Wichtige Voraussetzung für die Anwendung von Dekontaminationsmitteln ist, dass die gesundheitliche Unbedenklichkeit sichergestellt sein muss. Dazu forscht das BfR und bewertet mögliche Gesundheitsrisiken.



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