Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln

Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels setzt voraus, dass bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung der Schutz der Gesundheit aller Personengruppen gewährleistet ist, die mit dem Pflanzenschutzmittel oder dessen Rückständen in Kontakt kommen können. Hierzu müssen toxikologische Wirkungen identifiziert und quantifiziert werden. Weiterhin muss für jede Personengruppe, die dem Pflanzenschutzmittel ausgesetzt sein kann, geschätzt werden, mit welcher Menge sie in Kontakt kommen kann (die Exposition).

Ablauf der Risikobewertung

Das Risiko wird ermittelt, indem die toxische Wirkung mit der Exposition verglichen wird. Ggf. werden zusätzliche Risikominderungsmaßnahmen festgelegt.

Menschen können auf verschiedene Weise in Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln kommen:

  • Anwender selbst können während der Anwendung über die Haut oder durch Einatmen Pflanzenschutzmittel oder deren Bestandteile aufnehmen, ebenso Arbeiter, die auf der behandelten Fläche Nachfolgearbeiten durchführen.
  • Personen, die während der Anwendung zufällig in der Nähe sind (z. B. Spaziergänger) oder Anwohner, die in der Nähe der behandelten Flächen wohnen oder arbeiten, können über die Haut oder durch Einatmen Pflanzenschutzmittel oder deren Bestandteile aufnehmen, im Falle von kleinen Kindern ist auch die Aufnahme über den Mund zu berücksichtigen.
  • Verbraucher können Rückstände von Pflanzenschutzmitteln über die Nahrung aufnehmen.

Schematische Darstellung der Risikobewertung

Schematische Darstellung der Risikobewertung

 

Identifikation toxischer Wirkungen

Um sicherzustellen, dass Pflanzenschutzmittel als Folge ihrer Anwendung kein unannehmbares Risiko für Mensch und Tier darstellen, werden sie ebenso wie die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe untersucht und vom BfR toxikologisch bewertet. Dies geschieht noch vor ihrer Zulassung.

Pflanzenschutzmittel können aus einer Reihe von Bestandteilen zusammengesetzt sein:

  • Wirkstoff(e); meist enthalten die fertigen Pflanzenschutzmittel einen oder zwei Wirkstoffe, in Einzelfällen können bis zu vier Wirkstoffe enthalten sein.
  • Verschiedene Beistoffe wie z. B. Netzmittel, Konservierungsstoffe, Antioxidantien, Schaumverhinderer, Emulgatoren, Lösemittel.
  • "Safener" und Synergisten, die die Wirkung von Wirkstoffen beeinflussen; Safener reduzieren eine mögliche unerwünschte Wirkung auf Kulturpflanzen; Synergisten verstärken die gewünschte Wirkung auf den Zielorganismus.

Der Umfang toxikologischer Untersuchungen ist für Pflanzenschutzmittel gesetzlich vorgeschrieben. Informationen dazu finden Sie unter Rechtliche Grundlagen

Wirkstoffe, die in Pflanzenschutzmitteln eingesetzt werden sollen, werden sehr umfangreich auf mögliche gesundheitsschädigende Wirkungen untersucht:

  • Toxikokinetik und Metabolismus (Aufnahme, Stoffwechsel und Ausscheidung)
  • Akute Toxizität (Toxizität nach einmaliger Aufnahme), Haut- und Augenreizung, Sensibilisierung (allergieauslösendes Potenzial)
  • Subchronische Toxizität (Toxizität nach wiederholter Gabe)
  • Genotoxizität (erbgutschädigende Wirkung)
  • Chronische Toxizität (Langzeittoxizität)
  • Kanzerogenität(krebsauslösendes Potenzial)
  • Reproduktions- und Entwicklungstoxizität (schädigende Wirkung auf Fruchtbarkeit und Nachkommen)
  • Neurotoxizität(schädigende Wikrung auf das Nervensystem)
  • Endokrinschädigende Eigenschaften(schädigende Wirkung auf das Hormonsystem)
  • Bei Bedarf Durchführung weiterer Studien , z.B. zu toxikologischen Wirkmechanismen

Zusätzlich werden folgende Wirkungen des zur Zulassung vorgelegten Pflanzenschutzmittels bewertet:

  • akute Toxizität (oral, dermal, inhalativ)
  • Reizung der Haut und der Augen und Sensibilisierung über die Haut
  • dermale Absorption (Aufnahme über die Haut)

Bei Bedarf sind weitergehende Betrachtungen zu den Kombinationswirkungen der Inhaltsstoffe der Pflanzenschutzmittel durchzuführen.

Ableitung von Grenzwerten

Für die nachgewiesenen toxischen Wirkungen werden Dosis-Wirkungs-Beziehungen abgeleitet. Für die meisten toxischen Wirkungen wird davon ausgegangen, dass sie einem Schwellenwert unterliegen; d. h. dass ein gesundheitsschädigender Effekt nur eintritt, wenn eine bestimmte Dosis (Schwelle) überschritten wird.

Als Basis für die Festsetzung von Grenzwerten dient der NOAEL ("no observed adverse effect level"), also die Dosis, bei der in experimentellen Studien keine gesundheitsschädigende Wirkung beobachtet wurde. Der NOAEL, z. B. aus einer Studie an Ratten, wird durch einen (Un)sicherheitsfaktor geteilt, der die unterschiedlichen Empfindlichkeiten von Mensch und Tier, aber auch von einzelnen Individuen abdecken und so auch besonders empfindliche Personengruppen (wie z. B. Kinder, Schwangere oder Kranke) berücksichtigen soll. Meist wird dafür ein Faktor von 100 verwendet. Für Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln werden folgende Grenzwerte abgeleitet:

  • ADI steht für "Acceptable Daily Intake" (duldbare tägliche Aufnahmemenge) und gibt die Menge eines Stoffes an, die Verbrau­cher täglich und ein Leben lang ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen können. Der ADI stellt einen Grenzwert für die Langzeit-Exposition von Verbraucher dar.
  • ARfD steht für "Akute Referenzdosis" und gibt die Menge eines Stoffes an, die Verbraucher bei einer Mahlzeit oder bei mehreren Mahlzeiten über einen Tag ohne erkennbares Gesundheitsrisiko mit der Nahrung aufnehmen können. Die ARfD stellt einen Grenzwert für die Kurzzeit-Exposition von Verbrauchern dar.
  • AOEL steht für "Acceptable Operator Exposure Level" (duldbare Exposition des Anwenders) und stellt einen Grenzwert für die Exposition von Anwendern der Pflanzenschutzmittel und unbeteiligten Dritten dar. Dies sind Personen, die bei oder kurz nach der Anwendung zufällig direkt mit dem Pflanzenschutzmittel in Berührung kommen können.

Stoffe, für die kein Grenzwert abgeleitet wird

Für bestimmte toxische Wirkungen ist davon auszugehen, dass sie keinem Schwellenmechanismus unterliegen, so dass keine Exposition ohne schädigenden Effekt bestimmt werden kann. Für Stoffe mit solchen Wirkungen werden keine Grenzwerte abgeleitet. Insbesondere krebsauslösende Stoffe, wenn sie eine erbgutschädigende Wirkungsweise ohne Schwellenwert aufweisen, werden nicht als Wirkstoff in Pflanzenschutzmittel zugelassen. Die ist in der EU-Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln geregelt. Weitere Informationen dazu finden Sie unter Rechtliche Grundlagen.

Expositionsabschätzung

Um ein gesundheitliches Risiko bewerten zu können, benötigt man neben Angaben zu den toxikologischen Effekten auch Angaben zur Exposition der betroffenen Personengruppen bei bzw. nach bestimmungsgemäßer Anwendung der Pflanzenschutzmittel. Dazu wird ermittelt, welche Mengen an Pflanzenschutzmitteln, bzw. deren Rückständen von Menschen aufgenommen werden können. Es wird berücksichtigt, dass verschiedene Personengruppen hinsichtlich Aufnahmeweg, Dauer und Höhe der Exposition sehr unterschiedlich belastet sein können. Verbraucher beispielsweise können Rückstände von Pflanzenschutzmitteln über die Nahrung (oral) aufnehmen. Dies wird im Rahmen einer sorgfältigen Bewertung der Verbrauchersicherheit und Pflanzenschutzmittelrückstände geprüft.

Bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln kann es dazu kommen, dass Anwender, Arbeiter (z. B. bei Nachfolgearbeiten), Anwohner oder Nebenstehende (z. B. Spaziergänger) diese einatmen oder über die Haut aufnehmen. Diese Aufnahmewege werden bei der Bewertung der Anwendungssicherheit von Pflanzenschutzmitteln geprüft.

Risikocharakterisierung

Für die Bewertung der gesundheitlichen Risiken, die von Pflanzenschutzmitteln ausgehen können, werden die Expositionen, denen die verschiedenen Personengruppen ausgesetzt sein können, mit den gesundheitlichen Grenzwerten verglichen.

Sofern die Exposition nicht über den errechneten Grenzwerten liegt, besteht kein unannehmbares gesundheitliches Risiko für Anwender, unbeteiligte Dritte oder Verbraucher.

Schematische Darstellung der Risikocharakterisierung

Schematische Darstellung der Risikocharakterisierung

Ein Pflanzenschutzmittel wird somit für eine Anwendung nur zugelassen, wenn die für Anwender, Arbeiter, Anwohner und Nebenstehende erwartete Belastung geringer ist als der in toxikologischen Studien ermittelte AOEL-Wert. Wenn nötig, werden Auflagen für den sicheren Umgang mit dem Pflanzenschutzmittel erteilt (z. B. für persönliche Schutzmaßnahmen, den Einsatz Abdrift mindernder Geräte oder Wartezeiten usw.).

Auch wird ein Pflanzenschutzmittel nur zugelassen, wenn die zu erwartende Aufnahme von Rückständen durch Verbraucher geringer ist als die aus toxikologischen Studien abgeleiteten Grenzwerte ADI und ARfD. Zur Bewertung der lebenslangen Belastung wird die Exposition aus einer mittleren Lebensmittelmenge und einem mittleren Rückstand errechnet und mit dem toxikologischen Grenzwert ADI verglichen. Zur Bewertung einer einmaligen Belastung wird die Exposition aus einer hohen Lebensmittelmenge und dem höchsten zu erwartenden bzw. gemessenen Rückstand errechnet und mit dem toxikologischen Grenzwert ARfD verglichen. 





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