Mit dem Flugzeug gehen auch Infektionserreger auf Reisen


11/1998, 19.03.1998


Schädlingsbekämpfung an Bord muß wirksam und gesundheitlich unbedenklich sein


Gemeinsame Information des Umweltbundesamtes (UBA) und
des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV)

Der Fernreiseverkehr hat die Welt erschlossen, aber auch neue Probleme mit sich gebracht. Mit dem Massentransportmittel Flugzeug gelangen auch Schädlinge in Regionen, in denen sie bis dahin nicht heimisch waren. Sie können Krankheiten übertragen oder als Materialschädlinge die Flugsicherheit gefährden. Ihre Bekämpfung ist daher notwendig. Die hierfür an Bord der Flugzeuge eingesetzten Mittel bergen jedoch gesundheitliche Risiken, wenn sie in Gegenwart von Passagieren und Flugpersonal angewendet werden, ohne daß die Effizienz der vorgeschriebenen Maßnahmen wissenschaftlich bewiesen wäre. Dies gilt insbesondere für die ungezielte, prophylaktische Schädlingsbekämpfung. Zu diesem Ergebnis kamen Experten auf einer Fachtagung, die das Umweltbundesamt, UBA, zum Thema "Flugzeugentwesung" veranstaltet hat. Vertreter des BgVV, der Weltgesundheitsorganisation WHO, Fachleute aus den Bereichen der Epidemiologie, der Entomologie, der Rechtswissenschaften, der Flugzeugtechnik und Schädlingsbekämpfung, Vertreter von Behörden, Fluggesellschaften und Flugbegleiter-Organisationen diskutierten die Notwendigkeit, die rechtlichen Bedingungen sowie die praktische Durchführung von Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen im Flugzeug und erarbeiteten konkrete Lösungsansätze für die Entwicklung effektiver, gesundheitlich unbedenklicher Methoden.

Bereits vor zwei Jahren hatte das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) einen effektiveren und gesundheitlich unbedenklichen Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln im Flugzeug gefordert und empfohlen, auf die Verwendung von Langzeitpräparaten im Passagierraum zu verzichten. Biozide sollten grundsätzlich nur in Abwesenheit von Passagieren und Flugpersonal und nur durch geschultes Personal ausgebracht werden, um die Exposition für den Menschen und damit gesundheitliche Risiken zu minimieren (bgvv-Pressedienst 16/96). Zahlreiche Länder fordern aber noch immer ein sogenanntes "In-Flight"-Spraying, das Sprühen von Schädlingsbekämpfungsmitteln während des Fluges, als Voraussetzung für die Erteilung einer Landegenehmigung. Nach Ansicht von BgVV und UBA ist dieser undifferenzierte Einsatz von Insektiziden überflüssig. Er belaste Passagiere und Flugpersonal, stelle aber keine wirksame Kontrolle der potentiellen Krankheitsüberträger (Vektoren) dar. Das BgVV wird hierzu eine wissenschaftliche Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Toxikologie und Aerosolforschung, Hannover, durchführen.

Von der ungezielten, prophylaktischen Schädlingsbekämpfung zu unterscheiden ist die Desinsektion in Flugzeugen vor dem Abflug aus sogenannten Endemiegebieten, also Gegenden, in denen ein hohes Risiko für die Infektion mit vektorübertragenen Krankheiten besteht. Hier ist eine sachgerechte, an der jeweiligen Schädlingsbefallssituation orientierte, effektive Prophylaxe und Bekämpfung notwendig, um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern.

Die Gefahr der Einschleppung von Krankheiten des Menschen nach Deutschland ist in den letzten Jahren wegen des zunehmenden Fernreiseverkehrs deutlich gestiegen. Im Vordergrund steht dabei nicht mehr nur die Malaria, sondern eine ganze Reihe durch Mücken übertragener Virus-Erkrankungen wie das Dengue-, West-Nile-, Chikungunya-, Papataci- und Rift-Valley-Fieber oder die Japanische Encephalitis. Auch durch Zecken übertragene, schwere Infektionskrankheiten wie das Krim-Kongo-Fieber und andere Krankheiten, die ihr Erreger-Reservoir in Nagetieren aufbauen, treten häufiger auf.

Nach Meinung der Experten auf der Fachtagung spielt das Flugzeug für die länderübergreifende Verbreitung vektorgebundener Krankheiten weltweit eine entscheidende Rolle. Im Vordergrund steht der Transport infizierter, aber klinisch noch nicht "kranker" Menschen. Kommen sie in Gebiete, in denen eine Vermehrung des Vektors aufgrund der klimatischen und sonstigen Bedingungen grundsätzlich möglich ist oder wo der Vektor bereits existiert, kann sich die Krankheit epidemisch ausbreiten. Ausnahmesituationen wie in den geographisch nahen Krisengebieten im früheren Jugoslawien oder bei der Hochwasserkatastrophe an der Oder haben gezeigt, daß sich die Bedingungen für die Vermehrung potentieller Vektoren sehr schnell ändern können. Vereinzelt wurden daneben Infektionen an Bord von Flugzeugen über infizierte Vektoren nachgewiesen und auch Infektionen Dritter am Zielort, wenn Überträgertiere aus dem Flugzeug "entwichen" waren. Aus medizinischer Sicht stellt die Vielzahl der eingeschleppten Erkrankungen die Ärzte in Deutschland vor erhebliche klinisch-diagnostische Probleme. Auf eine effektive Bekämpfung der Vektoren an Bord von Flugzeugen, kann deshalb nicht verzichtet werden. Es dürfen aber weder Flugpersonal noch Passagiere an Bord sein.

Die Forderung des BgVV, die Empfehlungen der WHO zur Flugzeugentwesung sowohl hinsichtlich der Aerosolanwendung in Gegenwart von Passagieren als auch im Hinblick auf die regelmäßige großflächige Behandlung des gesamten Flugzeuginnenraumes mit einem Langzeitpräparat zu revidieren, wurde bislang abgelehnt. Die WHO begründet dies unter anderem damit, daß praxisgerecht evaluierte Alternativen zur derzeitigen Schädlingsbekämpfung in Flugzeugen fehlen. BgVV und UBA räumen der Evaluierung neuer Verfahren unter den Gesichtspunkten einer sehr guten Wirksamkeit bei gleichzeitiger Vertretbarkeit der Anwendung aus Sicht des Gesundheits- und Umweltschutzes deshalb absoluten Vorrang ein. Forschungsvorhaben hierzu sollen beim Bundesgesundheits- und Bundesumweltministerium beantragt werden. Eine Projektskizze wird derzeit erstellt. In Kooperation mit Fluggesellschaften und der mittelherstellenden Industrie soll anschließend eine entsprechende Initiative bei der WHO eingebracht werden.

Eine wichtige Hilfe bei der Auswahl geeigneter Mittel und Verfahren wären detaillierte Informationen über den Entwicklungszyklus der jeweiligen Vektoren, ihre aktuelle Massenentfaltungssituation vor Ort, die Krankheitserreger, die durch sie übertragen werden können, ihren Infektionsgrad und die aktuelle Resistenzlage. Ein solches Vektorenmonitoring wird allerdings im Bereich der internationalen Flughäfen bis heute kaum durchgeführt.

Die Anforderungen von BgVV und UBA an eine wirksame und gesundheitlich unbedenkliche Schädlingsbekämpfung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Schädlingsbekämpfungsmittel dürfen die Gesundheit des Menschen nicht gefährden. Ihrem Einsatz sollte eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Infektionsrisiko und möglichen gesundheitlichen Auswirkungen des Mitteleinsatzes vorausgehen. Schädlingsbekämpfungsmittel sollten nur eingesetzt werden, wenn

  • ihre Anwendung unbedingt erforderlich ist,
  • ihre Wirksamkeit hinreichend geprüft und belegt ist
  • bei sachgerechter Anwendung die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt vertretbar sind.

Passagiere, die gegenüber Schädlingsbekämpfungsmitteln besonders empfindlich reagieren, sollten sich vor Antritt der Reise bei ihrer Fluggesellschaft erkundigen, ob und in welcher Form Schädlingsbekämpfungen durchgeführt werden. Da die internationalen Rechtsvorschriften bei der Anwendung kaum Spielraum lassen, bleibt derzeit nur die Alternative, auf andere Zielländer auszuweichen. Dies macht auch deshalb Sinn, weil davon auszugehen ist, daß Schädlingsbekämpfungsmittel in Endemiegebieten nicht nur im Flugzeug, sondern auch in Hotels und öffentlichen Gebäuden eingesetzt werden.


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