Was sind Mischungen von Chemikalien und was bedeuten sie für die Gesundheit?

Aktualisierte FAQ des BfR vom 17. April 2024

In unserer komplexen und industrialisierten Welt ist der Mensch einer Vielzahl von Stoffen ausgesetzt, von denen viele künstlich hergestellt, also nicht natürlichen Ursprungs sind. Gegenstände des täglichen Bedarfs und Alltagsprodukte bestehen in der Regel aus mehreren Stoffen. Kommt man gleichzeitig mit mehreren Stoffen in Kontakt, spricht man davon, dass man Mischungen oder Gemischen ausgesetzt ist. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat ausgewählte Fragen und Antworten zu diesem Thema zusammengestellt.

nach oben

Was versteht man unter Mischungen?

Mischungen sind Kombinationen aus zwei oder mehr Stoffen.

Wo kommen Mischungen vor und wie kommt man mit ihnen in Kontakt?

Durch Produkte des täglichen Bedarfes, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Desinfektionsmittel oder unerwünschte Stoffe in der Nahrung (sogenannte Kontaminanten) wie auch Kontakt durch die Luft kommt der Mensch tagtäglich in den unterschiedlichsten Situationen mit einer Vielzahl von verschiedenen Substanzen und Mischungen in Kontakt.

Was sind beabsichtigte Mischungen?

Werden verschiedene Stoffe bewusst in einem Produkt kombiniert, spricht man von absichtlichen Mischungen. Man spricht oft auch von „Formulierungen“. Hier sind die Zusammensetzung und Konzentration der enthaltenen Stoffe bekannt und wurden bewusst so gewählt, damit das Produkt bestimmte Eigenschaften aufweist (z. B. damit sich Farben oder Lacke gut verstreichen lassen, Kosmetika wasserfest sind oder Spülmittel einen bestimmten Duft aufweisen). Der Mensch kommt durch die Anwendung eines Produktes also mit einer bekannten und somit beabsichtigten Mischung aus verschiedenen Stoffen in Kontakt.

Gehen von beabsichtigten Mischungen gesundheitliche Risiken aus?

Der Hersteller bzw. Inverkehrbringer eines Produktes muss in der Europäischen Union dafür sorgen, dass ein Produkt für die Endverbraucherinnen und -verbraucher sicher ist, wenn sie dieses wie vorgesehen verwenden. Andernfalls darf es nicht in den Handel gebracht werden. Benutzen wir zu einem bestimmten Zeitpunkt ein einziges Produkt mit einer beabsichtigten – also bekannten – Mischung und verwenden es bestimmungsgemäß (befolgen also je nach Art des Produktes dessen Gebrauchsanweisung oder empfohlene Dosierung), sind gesundheitliche Risiken nicht zu erwarten. Hersteller müssen aber auch den Fall des „vorhersehbaren Fehlgebrauchs“ berücksichtigen (z. B. wenn man sich mit Geschirrreiniger entgegen der eigentlichen Bestimmung auch die Hände wäscht). Auch bei Spielzeug (z. B. Fingerfarben, Spielschleim) muss nicht nur der bestimmungsgemäße, sondern auch der vorhersehbare Gebrauch unter Berücksichtigung des Verhaltens von Kindern sicher sein. Dies ist auch bei Biozidprodukten der Fall. Hier wird der vorhersehbare Gebrauch z. B. bei der Bewertung von Holzschutzmitteln berücksichtigt, wenn etwa Kleinkinder ggf. auf behandelten Holzstückchen kauen. Im Bereich der kosmetischen Mittel liegt die Verantwortung für die Sicherheit des Kosmetikprodukts beim Hersteller, der in einer sogenannten „Produktinformationsdatei“ darlegt, dass das Produkt sicher ist.

Was ist über das Risiko einer Vergiftung durch Mischungen bekannt?

Die Anfragen, die bei den deutschen Giftinformationszentren eingehen, betreffen in der großen Mehrheit die nicht bestimmungsgemäße Anwendung von Produkten mit beabsichtigten Mischungen. So kommt es z. B. im Haushalt besonders häufig zu Unfällen von Kleinkindern mit Geschirrspülmitteln oder Geschirrreinigern für die Spülmaschine, Entkalkern oder Textilwaschmitteln.

Wirkt eine Mischung von Stoffen stärker als ein Einzelstoff?

Nicht grundsätzlich. Mischungen können je nach Wirkmechanismus der Einzelstoffe unterschiedlich stark ausgeprägte Effekte/Wirkungen haben. Es gibt grundsätzlich vier Möglichkeiten, wie Stoffe in einer Mischung zusammenwirken können:

  • Sie können voneinander unabhängige, unterschiedliche Wirkungen haben.
  • Ihre Wirkung kann sich addieren (additive Wirkung).
  • Sie können zusammen stärker wirken als die Summe der Einzelwirkungen (synergistische Wirkung)
  • Sie können sich gegenseitig in ihrer Wirkung abschwächen (antagonistische Wirkung).

Im Falle gleicher/ähnlicher Wirkung wird nach derzeitigem Kenntnisstand davon ausgegangen, dass sich Wirkungen in der Regel addieren. Voraussetzung dafür ist, dass die aufgenommenen Stoffe den gleichen Wirkmechanismus haben und zu einem relevanten Zeitpunkt vom Organismus aufgenommen wurden.

In welchen Bereichen wird die Risikobewertung von Mischungen bereits routinemäßig durchgeführt?

Pflanzenschutzmittel: Die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln schreibt vor, Kumulations- und Synergieeffekte zu berücksichtigen. Ein Leitfaden zur kumulativen Bewertung von Pflanzenschutzmitteln wurde am BfR erarbeitet, basierend auf den internationalen Diskussionen bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), und im Jahr 2014 veröffentlicht. Seit dem Jahr 2017 wird das Verfahren am BfR in Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel angewandt. Im Kern geht es darum, in einem mehrstufigen Verfahren verschiedene Wirkstoffe in einem Pflanzenschutzmittel oder in einer beantragten Tankmischung kumulativ zu bewerten. Dazu werden sowohl die Exposition der Anwenderinnen und Anwender (wie etwa Landwirtinnen und Landwirte, die das Mittel auf dem Feld ausbringen) als auch die akute Exposition der Verbraucherinnen und Verbraucher (die die Rückstände über Lebensmittel aufnehmen) betrachtet, sodass die Gruppen, die diesen Mischungen am meisten ausgesetzt sind, berücksichtigt sind. Seit dem 1. September 2020 werden in diese Betrachtungen auch Arbeiterinnen und Arbeiter sowie unbeteiligte Dritte (Anwohnerinnen und Anwohner sowie Nebenstehende) mit einbezogen.

Aus Sicht des BfR liegen zur Wirkung von Mehrfachrückständen von Pflanzenschutzmitteln bereits zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Sie geben keinen Anlass zu der Annahme, dass die derzeit durchgeführten Bewertungen nicht hinreichend konservativ wären (d. h., sie überschätzen das Risiko eher). Unabhängig davon unterliegen diese Prüf- und Bewertungsstrategien einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und sind Gegenstand entsprechender Forschungsprojekte.

Biozidprodukte: Die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten schreibt vor, Kumulations- und Synergieeffekte in der gesundheitlichen Bewertung zu berücksichtigen. Ein Verfahren zur Bewertung solcher Effekte ist im Leitfaden der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zur Bewertung von Bioziden beschrieben und wird im Zulassungsverfahren für Biozidprodukte angewandt. Ziel ist es, die im Biozidprodukt enthaltenen Wirkstoffe und toxikologisch relevanten Beistoffe gemeinsam zu betrachten, um mögliche additive oder synergistische Effekte abzudecken. Das Verfahren betrachtet sowohl die Kurz- als auch die Langzeitexposition und wird am BfR bei der Bewertung für nicht-berufsmäßige Verwenderinnen und Verwender sowie unbeteiligte Dritte eingesetzt. Die Bewertung für die berufsmäßige Verwendung erfolgt bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).

Lebensmittelkontaktmaterialien (LKM): Die Rahmenverordnung (EG) Nr. 1935/2004 regelt für alle Gegenstände und Materialien im Lebensmittelkontakt, dass sie bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung keine Stoffe in Mengen an Lebensmittel abgeben dürfen, die die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher gefährden. Dies bezieht sich folglich auch auf Mischungen von Stoffen. Speziell für LKM aus Kunststoff gibt es zusätzlich die Europäische Verordnung (EU) Nr. 10/2011. Sie enthält eine Liste von Stoffen, die zur Herstellung von LKM aus Kunststoff verwendet werden dürfen und legt Verwendungs­bedingungen sowie gegebenenfalls spezifische Migrationsgrenzwerte (also die Menge eines Stoffes, die höchstens ins Lebensmittel übergehen darf) fest. Vor der Aufnahme von Stoffen in diese Liste führt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Risikobewertung durch. Sofern entsprechende Daten vorhanden sind, berücksichtigt diese Bewertung auch die Mischungstoxizität.

Das BfR berücksichtigt in seiner Bewertung von Stoffen für die Aufnahme in die BfR-Empfehlungen zu Materialien für den Lebensmittelkontakt ebenfalls Daten zur Mischungstoxizität von Stoffen – soweit vorhanden – und legt entsprechende Summenrichtwerte für für den tolerierbaren Übergang in Lebensmittel  oder die Verwendung von Stoffen fest.

Kosmetische Mittel: Laut Definition in der Kosmetik-Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 sind kosmetische Mittel „Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und äußere intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen.“

Gemische im Sinne der Verordnung sind „Gemische oder Lösungen, die aus zwei oder mehr Stoffen bestehen.“ Laut Artikel 3 der Verordnung müssen die auf dem Markt bereitgestellten kosmetischen Mittel bei normaler oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung für die menschliche Gesundheit sicher sein. Dies stellt die Verordnung dadurch sicher, dass das kosmetische Mittel vor dem Inverkehrbringen eine Sicherheitsbewertung durchlaufen hat und ein Sicherheitsbericht für das kosmetische Mittel gemäß Anhang I erstellt worden ist. Die Sicherheitsbewertung muss sowohl für die einzelnen Inhaltsstoffe als auch für das Produkt durchgeführt werden, Mischungstoxizität wird also bei der Sicherheitsbewertung mitberücksichtigt.

Welche Forschungsprojekte gibt es zu dem Thema der Mischungseffekte?

Internationale Forschungsprojekte beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit dieser Thematik. Mit der aktiven Beteiligung an Forschungsprojekten zur Risikobewertung von Mischungen unterstützt das BfR die Weiterentwicklung von Konzepten und dafür notwendigen Werkzeugen.

In der Vergangenheit beteiligte sich das BfR u. a. an den Projekten:

  • EuroMix: (EU H2020) Entwicklung und Implementierung eines international harmonisierten Ansatzes für die Risikobewertung von Chemikaliengemischen durch eine integrierte Teststrategie (https://www.euromixproject.eu/)
  • Combiomics 1 & 2: Combiomics (BMBF/eTOP) Entwicklung und Anwendung von Multilevel-omics-Methoden zur Analyse der Toxizität von Gemischen (mehr Infos)

Aktuell ist das BfR an folgenden Projekten beteiligt:

  • PANORAMIX (seit dem Jahr 2021): Ein durch das europäische Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“ gefördertes internationales Forschungsprojekt, das untersucht, ob real vorkommende zufällige Mischungen verschiedener Stoffe in Nabelschnurblut, Trinkwasser oder Lebensmitteln die kindliche Entwicklung des Nervensystems oder die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen können. Innerhalb des Projekts leitet das BfR das Arbeitspaket 7. Hierbei geht es speziell um die Frage, ob das bestehende Bewertungssystem, das auf der Prüfung einzelner Stoffe beruht, gesundheitliche Risiken durch potenzielle Kombinationswirkungen ausreichend abdeckt (https://panoramix-h2020.eu).
  • RaceMic (EFSA Tender) Entwicklung einer Roadmap für Maßnahmen zur Risikobewertung der kombinierten Exposition gegenüber mehreren Chemikalien
  • Seit dem Jahr 2022: "Partnerschaft für die Bewertung von Risiken durch Chemikalien"; PARC ist das bisher größte EU-Forschungs- und Innovationsprogramm zur Verbesserung des toxikologischen Verbraucherschutzes und Adressierung neuer Herausforderungen in der Chemikaliensicherheit. Das BfR leitet hier zusammen mit der ANSES als französischer Partnerbehörde das Arbeitspaket für die Toxikologie und arbeitet darüber hinaus in mehreren weiteren Arbeitspaketen mit. Mögliche Mischungseffekte sind dabei ein wesentlicher Bestandteil.

Darüber hinaus hat das BfR eine Nachwuchsgruppe rund um das Thema Mischungstoxizität etabliert.

Fragen und Antworten 1



Es befinden sich keine Dokumente auf Ihrem Merkzettel

Es befinden sich keine Dokumente in Ihrem Warenkotb

Cookie-Hinweis

Die BfR-Webseite verwendet nur Cookies, die notwendig sind, um die Webseite nutzerfreundlich zu gestalten. Weitere Informationen enthält unsere Datenschutzerklärung.