Ein weiteres neuartiges Verfahren zur Einbindung von Laienurteilen in politische
Entscheidungsprozesse über Fragen von Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
stellt das in Skandinavien entwickelte Modell der Konsensuskonferenz dar. Die
Konsensuskonferenz besteht aus folgenden Strukturmerkmalen:
- Die Diskursorganisation sucht über eine Zeitungsanzeige Personen, die
als Laien an einer Konsensuskonferenz zu einem bestimmten Thema teilnehmen wollen.
Aus der Zahl der Interessenten, die sich auf die Anzeige melden, werden 10-15
Personen ausgewählt, die in etwa einem Querschnitt der Bevölkerung
im Sinne von Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und Berufsspektrum entsprechen.
- Die ausgewählten Teilnehmenden der Konsensuskonferenz erhalten ausreichend
Material über die zu entscheidende Fragestellung. Das Material besteht
aus Hintergrundberichten, Zeitungsausschnitten, Stellungnahmen von Agierenden
und anderen relevanten Informationen.
- Während zweier Wochenenden treffen sich die Mitglieder der Konsensuskonferenz
zu vorbereitenden Sitzungen. In diesen Sitzungen tauschen sie ihre Eindrücke
aus, thematisieren die Hauptprobleme, formulieren Fragen an die Expertinnen
und Experten und suchen unter Anleitung der DiskursOrganisatoren die Expertinnen
und Experten aus, denen sie die Fragen stellen wollen.
- Die Konsensuskonferenz selbst findet an drei aufeinander folgenden Tagen
statt. Am ersten Tag stellen die Teilnehmenden ihre Fragen an die eingeladenen
Expertinnen und Experten. Diese Befragung ähnelt einer Anhörung im
klassischen Sinne; die Fragen werden aber ausschließlich von den Teilnehmenden
der Konsensuskonferenz gestellt. Die Anhörung ist öffentlich. Er
wird erwartet, dass die legalen Entscheidungsträger (etwa Parlamentarier)
als stille Beobachtende zugegen sind. Am Morgen des zweiten Tages kann die Befragung
fortgesetzt werden, u.U. sind dann auch Fragen aus dem Publikum zugelassen.
Am Nachmittag versammeln sich die Mitglieder der Konsensuskonferenz und verfassen
einen kurzen Bericht mit ihren Empfehlungen. Am dritten Tag werden diese Empfehlungen
an die Expertinnen und Experten zurückgekoppelt. In einer öffentlichen
Sitzung können die Expertinnen und Experten weitere Hinweise geben (etwa
auf sachliche Fehler oder unzulässige Verallgemeinerungen), sie haben
jedoch kein Recht, den Bericht zu korrigieren oder zu verändern. Die Teilnehmenden
der Konsensuskonferenz haben dann noch einmal Gelegenheit, ihre Empfehlungen
im Lichte der Diskussion mit den Expertinnen und Experten nachzubessern. Am
späten Nachmittag des dritten Tages werden die Ergebnisse bekannt gegeben
und in einer Pressekonferenz erläutert.
Die einzelnen Schritte der Konsensuskonferenz können noch weiter ausgedehnt
oder modifiziert werden. Wesentlicher Bestandteil einer jeden Konsensuskonferenz
ist die Einbeziehung von Laien als Gutachter in den Bewertungsprozess und die
öffentliche Anhörung unter Einschluss von Medien und politischer Öffentlichkeit.
Das Verfahren wurde vor allem in Dänemark vom nationalen "Board of
Technology" für Probleme bei der Regulierung von Gentechnik, motorisiertem
Straßenverkehr, integrierter Landwirtschaft, Informationstechnologien
und Risikoanalysen für chemische Zusätze in Nahrungsmittel eingesetzt.
Ähnliche Verfahren sind in Norwegen, Schweden, Großbritannien, Frankreich,
Schweiz, Japan und den USA durchgeführt worden.
Konsensuskonferenzen haben sich als eine robuste, zeitliche begrenzte und kostengünstige
Variante einer diskursiven Entscheidungsfindung herausgestellt. Die bisherigen
Erfahrungen mit diesem Instrument können nach einer empirischen Studie
von Simon Joss als überwiegend positiv gewertet werden Allerdings gibt
es auch eine Reihe von problematischen Punkten. Die Auswahl der Teilnehmenden
erfolgt durch zwei Selektionskriterien: "Selbstselektion" durch Antwort
auf eine Zeitungsannonce und "Fremdselektion" nach Repräsentationskriterien
durch die Organisatoren. Bei der geringen Anzahl der ausgewählten Teilnehmenden
kann von einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung nicht
die Rede sein. Dies wird von den Befürwortern dieses Verfahrens auch gar
nicht beansprucht. Ob allerdings die angestrebte Heterogenität in der Zusammensetzung
der Teilnehmenden ausreichend ist, bleibt auch beim besten Bemühen um
eine faire Auswahl fraglich. Zum zweiten ist bei einer kleinen Gruppe der Einfluss
einzelner Persönlichkeiten nicht zu unterschätzen. Je nach dem wie
die Gruppe zusammengesetzt ist, werden die Ergebnisse der Empfehlungen streuen.
Insofern ist die Legitimationskraft der Empfehlungen, insbesondere bei weitreichenden
kollektiv bindenden Entscheidungen, schwer abzuschätzen. Dies war auch
eines der besonderen Probleme bei der ersten nationalen Konsensuskonferenz
über Gentechnik, die vom Hygienemuseum in Dresden organisiert worden ist.