Der Runde Tisch als diskursives Verfahren |
Ziel | ||
Damit eine Verständigung über eine Risikobewertung zustande kommen kann, können Runde Tische eingesetzt werden, an denen gleichberechtigt die Vertretenden der Behörden mit den von der Bewertung betroffenen Gruppen teilnehmen.
Vorgehen | ||
Zunächst geht es bei dem Runden Tisch um die Festlegung eines Verfahrens, das den Dialog strukturiert und die Rechte bez. Pflichten aller Teilnehmenden festlegt. Dabei ist es Aufgabe der Moderation, die impliziten Regeln des Runden Tisches den Teilnehmenden vorzustellen und zu begründen. Darüber hinaus müssen die Teilnehmenden gemeinsame Entscheidungsregeln, die Tagesordnung, die Rolle der Moderation (auch im Sinne einer Schlichtung), die Reihenfolge der Anhörungen, u.a.m. festlegen. Dies sollte immer nach dem Konsensprinzip erfolgen. Alle Parteien müssen dem Verfahren zustimmen können. Einvernehmlich sollte man sich auch auf Definitionen, mögliche Klassifikationen oder andere Sprach und Verständigungsmittel einigen. Erreicht man hier keine Einigung, muss der Runde Tisch abgebrochen oder neu organisiert werden.
Wertbaum-Analyse | ||
Sobald das Verfahren festgelegt ist, ist es zweckmäßig, die Bandbreite der für die Bewertung relevanten gesetzlichen Grundlagen (normativer Aussagen) festzulegen. Damit ist eine Einengung auf die Grundlagen gemeint, die für das anstehende Problem relevant sind. Verschiedene Verfahren, wie etwa die WertbaumAnalyse sind dazu prinzipiell geeignet. Auf der einen Seite ist es erforderlich, nur die Aussagen zuzulassen, die in einem inneren Zusammenhang mit der Thematik liegen, andererseits erfordert es das Gebot der Fairness, alle Werte und Normen, die von den jeweiligen Parteien vorgetragen werden, so weit wie möglich zu berücksichtigen. In diesem Konflikt zeigt die Erfahrung mit Runden Tischen, dass man sich im Rahmen der Konfliktschlichtung zunächst um eine möglichst vollständige Erfassung aller Werte bemühen sollte, selbst wenn die Werteliste dabei erheblich an Umfang gewinnt. Beschränkt man die Diskussion dagegen auf die offenkundig relevanten Werte oder begrenzt man die Wahlmöglichkeiten der Teilnehmenden zu früh, dann werden sich einige Parteien immer benachteiligt fühlen und an anderer Stelle eine neue "Grundsatzdiskussion" vom Zaun brechen. Im Verlauf der späteren Verhandlungen können dann wenig diskriminierende Werte wieder ausgeschlossen werden.
Argumentationsprüfung | ||
Sind die zur Beurteilung notwendigen Werte, Normen und Ziele einmal gemeinsam festgelegt, dann erfolgt der Austausch von Argumenten. Zur Überprüfung von Argumenten lassen sich in Anlehnung an die analytischen Entscheidungslogik vier Teilschritte vornehmen:
- In einem ersten Schritt werden die als von den Diskursteilnehmenden akzeptierten Werte und Normen zunächst in Kriterien überführt, die direkten Einfluss auf die Risikobewertung haben (etwa die Festlegung des Schutzgutes, die Bestimmung des Schutzzieles, die einschlägigen Vorschriften dazu usw.).Diese Überführung bedarf der konsensualen Zustimmung aller Teilnehmenden.
- Sachkundige Personen oder Institutionen werden gebeten, die zur Wahl stehenden Bewertungsoptionen nach bestem Wissensstand zu beurteilen (kognitive Richtigkeit). Dabei ist es sinnvoller, eine gemeinsame methodische Vorgehensweise oder einen Konsens über die zu befragenden Expertinnen und Experten festzulegen, als jeder Gruppe die Freiheit zu überlassen, diese Fragen durch eigene Expertinnen und Experten beantworten zu lassen. Oft bleiben als Resultat dieses Prozesses viele potentiellen Konsequenzen umstritten, vor allem wenn sie mit Unsicherheit behaftet sind. Jedoch wird die Bandbreite der möglichen Meinungen je nach Stand des Wissens mehr oder weniger verengt. Auch der Konsens über den Dissens hilft hier weiter, strittige von unstrittigen Tatsachenbehauptungen zu trennen, und fördert so die weitere Diskussion.
- Die Bandbreiten zu erwartender Auswirkungen müssen dann von den Parteien interpretiert werden. Interpretation bedeutet Verknüpfung von Sach und Wertaussagen zu einem Gesamturteil. Dieses Urteil kann und sollte für jeden Aspekt der Bewertung (etwa akute Gesundheitsschäden, Umweltbeeinflussungen, etc.) getrennt vorgenommen werden. Auf diese Weise lassen sich die jeweiligen Ursachenketten für Urteile besser nachvollziehen. Zum Beispiel kann bei der Interpretation eines Grenzwertes die Frage der Vertrauenswürdigkeit der Überwachungsbehörden eine wichtige Rolle spielen. Dann obliegt es den Teilnehmenden, die bisherige Bilanz der jeweiligen Behörde unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls institutionelle Veränderungen vorzuschlagen.
- Selbst wenn eine einvernehmliche Beurteilung und Interpretation vorliegen würde, bedeutet das noch lange nicht, dass es zu einer Einigung kommt. Vielmehr können unterschiedliche Urteile über Entscheidungsoptionen der Teilnehmenden auf unterschiedliche Wertgewichtungen zurückzuführen sein. Ein engagierter Umweltschützer mag etwa dem Erhalt eines Biotops wesentlich höheres Gewicht beimessen als ein Vertretender der Wirtschaft. In der spieltheoretischen und ökonomischen Literatur gilt dieser Konflikt als unlösbar, es sei denn, einer der Teilnehmenden kann den anderen durch Kompensationszahlungen (etwa in Form von Zuwendungen), Transferleistungen (etwa eine besondere Dienstleistung) oder Tauschgeschäfte von seiner Präferenz abbringen. In der Realität zeigt sich aber, dass Teilnehmende an Diskursen durchaus den Argumenten anderer Teilnehmenden zugänglich sind (also auf ihre erste Präferenz verzichten), wenn der Nutzenverlust für sie noch tolerierbar ist und gleichzeitig der Lösungsvorschlag als "gemeinwohlträchtig", d.h. in der öffentlichen Wahrnehmung als sozial erwünscht, angesehen wird. Wenn es zu keinem Konsens kommt, kann und darf es auch zu einer Kompromisslösung kommen, bei der um eine "faire" Verteilung von Lasten und Gewinnen verhandelt wird.
Im Rahmen eines Runden Tisches müssen die hier beschriebenen Konflikte über Verfahren, Fakten, Interpretationen, Werte und Wertgewichtungen zunächst identifiziert und dann gezielt durch interaktive Verfahren behandelt werden.