Stillen ohne wenn und aber


20/2005, 20.06.2005


Chemierückstände in der Muttermilch machen sie nicht weniger wertvoll


Muttermilch ist die beste, die praktischste und die preiswerteste Nahrung für das Neugeborene. Gestillte Säuglinge erkranken im ersten Lebensjahr seltener an Infektionen und neigen im späteren Alter weniger zu Übergewicht. Auch auf das Allergierisiko scheint Stillen einen positiven Einfluss zu haben. Neben der Gesundheit des Säuglings fördert Stillen auch die Gesundheit der Mutter. Weil Stillen Energie verbraucht, nehmen Mütter nach der Geburt zum Beispiel leichter wieder ab. Ebenso wichtig wie die physische Komponente ist die psychische: Stillen steigert das Wohlbefinden von Mutter und Kind. Die Nationale Stillkommission am BfR setzt sich deshalb dafür ein, dass Mütter ihre Kinder möglichst sechs Monate lang ausschließlich stillen. „Dass in Muttermilch auch ein breites Spektrum an Chemikalien nachgewiesen werden kann, sollte keine Mutter vom Stillen abhalten“, empfiehlt die Leiterin der Nationalen Stillkommission, Professor Hildegard Przyrembel, den Müttern. „Die Gehalte vieler Chemikalien sind rückläufig, sie stellen, nach allem was wir heute wissen, für den gestillten Säugling kein Risiko dar.“

Muttermilch ist auch ein idealer Bioindikator für die Belastung der Umwelt. Das gilt  besonders für Stoffe, die sich bevorzugt in fetthaltigen Medien anreichern. Viele Substanzen, mit denen die Mutter in Kontakt gekommen ist, finden sich in der Muttermilch wieder. Dazu gehören Alkohol, Nikotin oder Koffein ebenso wie Substanzen aus der Umwelt. "Chemie"-freie Muttermilch kann und wird es nicht geben, weil alle Produkte, die Luft, der Boden und die Nahrung Chemikalien enthalten. Die Bioindikatorfunktion der Muttermilch bietet aber die einmalige Gelegenheit, an ihr die jeweils aktuelle Belastungssituation zu prüfen und dort einzugreifen, wo es zum Schutz der Gesundheit erforderlich ist. Schon Mitte der achtziger Jahre haben die Bundesländer deshalb mit systematischen Untersuchungen von Muttermilch begonnen und führen das Programm noch heute fort. Besorgte Mütter, die mit Chemikalien in besonderem Maß in Berührung kommen, können sich bei den Untersuchungsämtern der Länder nach den Konditionen für eine Teilnahme an dem Untersuchungsprogramm erkundigen.

Die Muttermilchanalysen zeigen, dass die Trends für viele Chemikalien seit mehr als 15 Jahren rückläufig sind. So hat zum Beispiel die Belastung mit Dioxinen und Polychlorierten Biphenylen (PCBs) deutlich abgenommen – ein Beleg dafür, dass emissionsmindernde Maßnahmen und Verwendungsverbote gegriffen haben. Mit der Entwicklung empfindlicherer Analysenmethoden und dem breiten Einsatz neuer Chemikalien hat sich das Spektrum der Stoffe, die in der Muttermilch nachgewiesen werden können, geändert. Ein Beispiel dafür sind die bromierten Flammschutzmittel. Sie setzen die Entzündbarkeit brennbarer Stoffe herab und werden hauptsächlich in der Elektroindustrie, bei Holz und Holzwerkstoffen, Kunststoffen und Textilien eingesetzt. In Fernsehern und Computern werden vor allem die polybromierten Diphenylether (PBDE) verwendet, stabile, fettlösliche Verbindungen, die schwer abbaubar sind und sich in der Umwelt anreichern. Sie wurden in Luft, Boden, Wasser und tierischen Produkten nachgewiesen. Diese bromierten Flammschutzmittel zählen nicht zu den hochgiftigen Substanzen. Bei den im Tierversuch getesteten großen Dosen wurden aber zum Beispiel nervenschädigende Wirkungen nachgewiesen. Ob Flammschutzmittel Krebs auslösen können, ist ungeklärt. Dies ist Grund genug, sie wissenschaftlich eingehender zu untersuchen, um rechtzeitig zu verhindern, dass sie zu einem Risiko für stillende Mütter und Säuglinge werden.

Im Jahr 2002 hat das Bundesinstitut für Risikobewertung deshalb gemeinsam mit dem Umweltbundesamt eine Studie zum Vorkommen bromierter Flammschutzmittel in Muttermilch begonnen. Finanziert hat sie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, durchgeführt wurde sie im Rahmen des Aktionsprogramms Umwelt und Gesundheit. Die Ergebnisse zeigen, dass Flammschutzmittel tatsächlich im Blut der Mutter und in der Muttermilch vorkommen. Einer der Hauptaufnahmepfade sind tierische Lebensmittel. Die Mengen, die der Säugling über die Muttermilch aufnimmt, liegen allerdings um das Zehntausendfache unter den Dosierungen, die im Tierversuch noch keine gesundheitsschädigenden Wirkungen ausgelöst haben und stellen damit nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand kein gesundheitliches Risiko dar. Trotzdem sollten die Gehalte an Flammschutzmitteln, wo immer möglich, gesenkt werden.

Was für die Flammschutzmittel gilt, gilt auch für andere Fremdstoffe: Grundsätzlich fordert die Nationale Stillkommission, das Vorkommen von Fremdstoffen in Muttermilch durch geeignete Maßnahmen soweit wie möglich zu minimieren. Eine wirksame Maßnahme wäre die Stärkung des Verbraucherschutzaspekts im neuen europäischen Chemikalienrecht, REACH. Das BfR fordert deshalb, den Verordnungsentwurf an wesentlichen Stellen umgehend nachzubessern. Seine Position stellt das Institut am 23. und 24. Juni 2005 im Rahmen des BfR-Forums Verbraucherschutz öffentlich zur Diskussion.

Der Abschlussbericht „Rückstände von Flammschutzmitteln in Frauenmilch aus Deutschland unter besonderer Berücksichtigung von polybromierten Diphenylethern (PBDE)“ steht in Kürze auf den Internetseiten zum „Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit“ unter http://www.apug.de im PDF-Format zur Verfügung.

Weitere Informationen zur  REACH-Veranstaltung finden Sie auf der Startseite der BfR-Homepage (www.bfr.bund.de).

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