Bei ausgewogener Ernährung sind Nahrungsergänzungsmittel überflüssig!


15/1996, 20.06.1996


Kritische Kaufentscheidung schützt vor enttäuschter Verbrauchererwartung

Nahrungsergänzungsmittel überschwemmen den deutschen Markt und vermitteln dem Verbraucher zu Unrecht den Eindruck, daß eine ausreichende Ernährung allein mit den üblichen und vertrauten Lebensmitteln nicht möglich ist. Bei ausgewogener Ernährung sind sie nach Ansicht des BgVV jedoch völlig überflüssig! Der deutsche Verbraucher ist kritisch und informiert. Er erwartet qualitativ hochwertige Lebensmittel, frei von Rückständen jeder Art. Er steht der Strahlenbehandlung von Lebensmittel ebenso kritisch gegenüber wie dem Einsatz gentechnischer Methoden. Destomehr verwundert es zu sehen, wie irrational Verbraucher sind, wenn sie meinen, durch den Genuß sogenannter Nahrungsergänzungsmittel vermeintliche Defizite der Ernährung auffangen und positive Einflüsse auf Körper und Wohlbefinden erkaufen zu können. Womöglich steckt im Versprechen von der ewigen Jugend doch ein Fünkchen Wahrheit?

Eine rechtliche Definition für Nahrungsergänzungsmittel wird auf der Ebene der Europäischen Union erst vorbereitet. Nahrungsergänzungsmittel enthalten in erster Linie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente oder Eiweißstoffe, als Einzelnährstoff, meist aber in Kombinationen. Daneben werden zunehmend auch (z.T. in Europa weitgehend unbekannte) pflanzliche Bestandteile zugefügt, die pharmakologische Wirkungen haben können. Viele dieser Stoffe finden auch in Arzneimitteln Verwendung. Wie Arzneimittel werden Nahrungsergänzungsmittel in Tabletten-, Kapsel-, Pulverform oder flüssigen Zubereitungen angeboten. Die Frage, ob ein bestimmtes Produkt ein Arzneimittel oder ein Nahrungsergänzungsmittel ist, stellt sich auch aus diesem Grund immer häufiger. Das BgVV beobachtet, daß Hersteller verstärkt versuchen, ihre arzneilich wirksamen Produkte als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen, um eine aufwendige Arzneimittelzulassung zu umgehen.

Zum besseren Verständnis:

Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs. Sie unterliegen dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG). Ihre Einzelkomponenten sind Bestandteil der Nahrung und sollen diese ergänzen, wenn sie aus bestimmten Gründen (zu einseitige Ernährung oder zeitweise erhöhter Bedarf an bestimmten Stoffen) nicht ausreichend vorhanden sind. Ihre Zweckbestimmung im Sinne des § 1 des LMBG sind die Ernährung und der Genuß.

Arzneimittel sind dazu bestimmt, Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. Arzneimittel sind ausdrücklich keine Lebensmittel im Sinne des §1 des LMBG. Sie bedürfen einer Zulassung oder Registrierung. Arzneimittel werden auf ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft. Sie enthalten Hinweise zur Dosierung und zu möglichen Risiken.

Anders Nahrungsergänzungsmittel: Sie unterliegen keiner Registrierungs- oder Zulassungspflicht. Für die gesundheitliche Unbedenklichkeit ist der Hersteller auf der Basis des LMBG verantwortlich. Zur Herstellung ist lediglich eine Gewerbeerlaubnis erforderlich. Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweise werden nicht verlangt.

Von entscheidender Bedeutung bei der Abgrenzung von Arznei- und Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmitteln ist die objektive Zweckbestimmung, die dem Produkt nach der allgemeinen Verkehrsauffassung zukommt. Diese kann sich u.a. aus der Aufmachung, der Darreichungsform, der Dosierung, der Werbung oder der üblichen Verwendung durch den Verbraucher ergeben. So kann z.B. ein Kalziumpräparat zur Ergänzung der Kalziumaufnahme Nahrungsergänzungsmittel sein, während es durch den geänderten Verwendungszweck zur Vorbeugung gegen Osteoporose zum Arzneimittel werden kann. Körpereigene Hormone oder hormonähnliche Substanzen, wie z.B. das Melatonin, können nach Ansicht des BgVV wegen ihrer vielfältigen pharmakologischen Wirkungen keine Nahrungsergänzungsmittel sein. Auch dann nicht, wenn sie natürlicherweise in geringen Konzentrationen in Pflanzen enthalten sind.

Werbliche krankheitsbezogene Aussagen und Wirkversprechen sind bei Nahrungsergänzungsmitteln nicht erlaubt. Sie erfüllen den Tatbestand der verbotenen gesundheitsbezogenen Werbung. Die Aufsicht hierüber obliegt ebenso den zuständigen Landesbehörden wie die Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und damit der Verkehrsfähigkeit.

Nahrungsergänzungsmittel können auch dann auf dem deutschen Markt angeboten werden, wenn sie nicht den deutschen lebensmittelrechtlichen Vorschriften entsprechen. Voraussetzung ist, daß sie in einem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig im Verkehr sind und ein Antrag auf Allgemeinverfügung durch das Bundesministerium für Gesundheit nach Begutachtung durch das BgVV positiv beschieden wurde.
Ein solcher Antrag kann nur abgelehnt werden, wenn

  • zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen;
  • wenn es sich nicht um ein Lebensmittel, sondern z.B. um ein Arzneimittel handelt;
  • wenn eine Begutachtung aufgrund unvollständiger Antragsunterlagen nicht möglich war.

Eine Allgemeinverfügung kann nicht verweigert werden, weil das Produkt für den Verbraucher keinerlei ernährungsphysiologischen Wert hat. Umgekehrt darf der Verbraucher aus der Tatsache, daß ein solches Produkt im Handel ist, nicht schließen, daß es sich um ein sinn- oder wertvolles Lebensmittel handelt.

Eine Allgemeinverfügung ist kein Freibrief. Wird z.B. der Tatbestand der verbotenen gesundheitsbezogenen Werbung erfüllt, kann die Lebensmittelüberwachung das Produkt trotz Allgemeinverfügung aus dem Verkehr ziehen.

Nahrungsergänzungsmittel werden über Reform- und Versandhäuser, Supermärkte, Drogerien, Apotheken oder Direktvertriebe in den Handel gebracht. Für den Verbraucher ist die Vielfalt der Produkte kaum noch zu überschauen. Nach wie vor gilt, daß eine ausgewogene und vollwertige Ernährung durch eine abwechslungsreiche Kost den Körper mit allen lebenswichtigen Nährstoffen versorgt und somit zu optimaler körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit verhilft. Wer sein Geld sinnvoll anlegen oder sich vor einer enttäuschten Verbrauchererwartung schützen will, sollte seine Kaufentscheidung deshalb äußerst kritisch treffen.


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