Vergiftungsmonitoring von Pestiziden in Deutschland: Antworten auf häufig gestellte Fragen

FAQ des BfR vom 10. Januar 2022

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat den gesetzlichen Auftrag, Daten zu Vergiftungen in Deutschland zu sammeln, auszuwerten und der Öffentlichkeit darüber zu berichten. Dafür steht es im engen Austausch mit den Giftinformationszentren der Länder (GIZ) und der Gesellschaft für Klinische Toxikologie e. V. (GfKT). Damit neue Vergiftungsrisiken zukünftig früher erkannt werden, soll ein nationales Vergiftungsregister am BfR eingerichtet werden. Für die Etablierung des Registers bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, die geschaffen und vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden muss. Um die schnellere Erkennungsrate von Vergiftungsrisiken durch das Register zu belegen, wurden in einer Pilotstudie unter anderem Mitteilungen zu Vergiftungsfällen im Zusammenhang mit Pestiziden gesammelt und ausgewertet.

Das BfR registriert bereits heute alle Fälle, die Ärztinnen und Ärzte sowie die GIZ auf gesetzlicher Grundlage dem Institut mitteilen, darunter auch Vergiftungen und Verdachtsfälle mit Pestiziden (Pflanzenschutzmittel und Biozide). Gegenwärtig betreffen Pestizide ca. 8 % der insgesamt ca. 5.000 eingehenden Meldungen pro Jahr. Die Auswertung der Daten aus der Pilotstudie hat ergeben, dass bei den GIZ im Untersuchungszeitraum von Mai 2018 bis Februar 2019 insgesamt 2.647 Anfragen (mit 2.808 betroffenen Personen) zu Kontakten mit Pestiziden eingingen - ein Anteil von ca. 1,4 % an der Gesamtzahl -, größtenteils zu Bioziden (75,7 %) und seltener zu Pflanzenschutzmitteln (17,5 %). Bei den Fallmeldungen zu Pestiziden, die das BfR auf Grund ärztlicher Mitteilungen im Zeitraum der Jahre 2011-2020 registriert hat, handelt es sich fast ausschließlich um berufliche Verwendungen. Innerhalb der Produktgruppe der Pestizide (im weiten Sinne) wurden die meisten gemeldeten Gesundheitsstörungen durch Augenkontakt mit Desinfektionsmitteln verursacht.

Im Folgenden beantwortet das BfR Fragen, die zum Thema Vergiftungsmonitoring von Pestiziden in Deutschland häufig gestellt werden.

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Was sind Pestizide?

Der Begriff „Pestizide“ wird umgangssprachlich meist gleichbedeutend mit dem Begriff „Pflanzenschutzmittel“ angewandt und umfasst Produkte, die dazu dienen Schadorganismen gezielt zu bekämpfen. In der EU werden Pestizide nach ihrem Verwendungszweck in zwei Kategorien unterteilt: in Pflanzenschutzmittel und Biozide. Während Pflanzenschutzmittel vorrangig verwendet werden, um Schädlinge an Pflanzen zu bekämpfen, werden Biozide gegen Organismen eingesetzt, die für Menschen oder Tiere schädlich sind oder Materialien schädigen.

Herbizide, Fungizide und Insektizide sind die bekanntesten Pflanzenschutzmittelgruppen. Desinfektionsmittel und Schädlingsbekämpfungsmittel - unter die wiederum auch Insektizide fallen - sind die bekanntesten Biozidgruppen.

Im Vergiftungsmonitoring ist eine Fallzuordnung zu Bioziden oder Pflanzenschutzmitteln aufgrund unvollständig registrierter Produktbezeichnungen nicht immer möglich, auch weil manche Produktgruppen und Wirkstoffe in beiden Bereichen zur Anwendung kommen. Für die medizinische Versorgung und Dokumentation einer toxischen Wirkung ist es nicht relevant, ob ein Produkt auf einer Pflanze oder im Haushalt eingesetzt wird. Auch die amtliche Klassifikation zur international harmonisierten Verschlüsselung von Diagnosen in der medizinischen Versorgung (ICD-10) unterscheidet nicht zwischen Pflanzenschutzmitteln und Bioziden.

Wer sammelt in Deutschland Daten zu Vergiftungen?

Ärztinnen und Ärzte, die Erkrankungen behandeln, bei denen zumindest der Verdacht besteht, dass sie auf die Einwirkung gefährlicher Stoffe und Gemische zurückgehen, berichten diese in anonymisierter Form an das BfR (§ 16e Abs. 2 des Chemikaliengesetz, kurz: ChemG). Erfolgte der Kontakt (die Exposition) im Zuständigkeitsbereich einer Berufsgenossenschaft oder eines Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand - z. B. am Arbeitsplatz oder in der Schule -, so übernimmt die Berufsgenossenschaft bzw. die Unfallkasse die Mitteilung. Neben den gesetzlichen Mitteilungen nimmt das BfR auch freiwillige Meldungen (z. B. von Betroffenen) in die BfR-Vergiftungsfall-Datenbank auf.

Die sieben GIZ der Bundesländer beraten Menschen, die Anfragen zu Vergiftungen und Verdachtsfällen haben. Jede Anfrage wird dokumentiert und in einer GIZ-eigenen Datenbank gespeichert. Zu Erkenntnissen, die für die Beratung bei stoffbezogenen Erkrankungen von allgemeiner Bedeutung sind, berichten die GIZ dem BfR gemäß § 16e Abs. 3 ChemG. Die von den GIZ übermittelten Informationen zu besonderen Fällen werden in der BfR-Datenbank registriert und ausgewertet.

Weitere Informationen zu Vergiftungsfällen finden sich in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Dort können individuelle Auswertungen durchgeführt werden, beispielsweise auch nach der ICD-10-Klassifikation der Krankheiten.

Was kann getan werden, um Vergiftungsrisiken zukünftig schneller und genauer zu erkennen?

Das BfR ist in Deutschland für die nationale Auswertung von Vergiftungen zuständig. Dabei arbeitet es eng mit den GIZ und der Gesellschaft für Klinische Toxikologie e. V. (GfKT) zusammen. Derzeit können die bei den GIZ und im BfR gespeicherten Fallberichte nur für dringende Fragestellungen manuell zusammengeführt werden. Die geplante Einrichtung eines nationalen Vergiftungsregisters, bei dem diese Daten kontinuierlich zusammengeführt werden, wird einen erheblich verbesserten Überblick über das nationale Vergiftungsgeschehen und ein früheres Erkennen von Vergiftungsrisiken ermöglichen. Behördliche Anfragen zum Vergiftungsgeschehen an das BfR könnten dann weitaus einfacher, schneller und genauer beantwortet werden. Das schließt auch die nationalen Berichtspflichten gegenüber der EU Kommission und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Vergiftungen mit Bioziden oder Pflanzenschutzmitteln oder zu Vergiftungen im Rahmen schwerwiegender grenzüberschreitender Gefahrenlagen ein. Zudem kann das nationale Vergiftungsregister detaillierte Daten für wissenschaftliche Fragestellungen liefern.

Was wurde bisher für die Einführung eines nationalen Vergiftungsregisters getan?

Das BfR hat mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), der GfKT und den GIZ von April 2017 bis Oktober 2019 eine Pilotstudie durchgeführt, in der das Zusammenführen der Fallberichte aller GIZ in Deutschland und des BfR getestet wurde. Innerhalb des Projekts konnte der Betrieb eines nationalen Vergiftungsregisters in Zusammenarbeit zwischen BfR, GfKT und GIZ erfolgreich erprobt werden. Exemplarisch wurden im Projekt Daten zu GIZ-Anfragen u. a. zu Pestiziden, E-Zigaretten und Nahrungsergänzungsmitteln erhoben. Insgesamt wurden 5.495 Fälle registriert, bewertet und analysiert.

Mehr dazu im Abschlussbericht der Pilotstudie.

Welche Voraussetzungen müssen für ein nationales Vergiftungsregister am BfR erfüllt werden?

Für das Vorhaben ist - nach Einschätzung eines vorliegenden Rechtsgutachtens - eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die noch geschaffen und von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden muss. Das Gesetz muss die Aufgaben des Registers und der beteiligten Akteure - neben dem BfR insbesondere die Bundesministerien und die Giftinformationszentren - beschreiben. Zudem muss es den Schutz der Daten der Patientinnen und Patienten, deren Erkrankungen in das Register aufgenommen werden sollen, regeln.

Daher bedarf es für die nächsten Schritte einer Abstimmung der beteiligten Bundesministerien über das weitere Vorgehen.

Welche Erkenntnisse zu Vergiftungen mit Pestiziden können aus dem Abschlussbericht der Pilotstudie zur Etablierung eines Nationalen Monitorings gezogen werden?

Insgesamt wurden in der Pilotstudie zur Etablierung eines Nationalen Monitorings von Vergiftungen im Zeitraum Mai 2018 bis Februar 2019 im Teilprojekt „Pestizide“ 2.808 Fälle gesammelt, bei denen ein GIZ wegen des möglichen Kontakts mit einem Pflanzenschutzmittel oder Biozid kontaktiert wurde. Dies entspricht ca. 1,4 % der in den GIZ gesammelten Fälle. Auswertungen nach Wirkstoffen oder toxikologisch relevanten Inhaltsstoffen wurden in diesem Projekt nicht durchgeführt. Bei den im Projekt dokumentierten Fällen handelte es sich zu 75,7 % um Biozide (v. a. Schädlingsbekämpfungsmittel) und zu 17,5 % um Pflanzenschutzmittel. In 6,8 % der Fälle war keine Zuordnung zu einer der beiden Gruppen möglich.

Welche Erkenntnisse zu Vergiftungen mit Pestiziden können aus der ärztlichen Mitteilungspflicht gemäß des Chemikaliengesetzes gewonnen werden?

Neben den zeitlich begrenzten Daten des Pilotprojekts stehen die Berichte zur Verfügung, die dem BfR im Rahmen der ärztlichen Mitteilungspflicht gemäß § 16e Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 des Chemikaliengesetzes übermittelt wurden. Das BfR registriert diese Fallmeldungen in der nationalen Vergiftungsfall-Datenbank.

Bei den im BfR registrierten Fällen zu Pflanzenschutzmitteln und Bioziden handelt es sich fast ausschließlich um berufliche Verwendungen. Betroffen sind oft die Augen (v. a. Spritzen von Desinfektionsmittel in die Augen), gefolgt von Kontakt mit der Haut oder Einatmen von Dämpfen. Bei der Mehrzahl dieser Fälle traten nur leichte Symptome auf (Bewertung nach Poisoning Severity Score).

Sind die am BfR registrierten Fallzahlen repräsentativ für das Vergiftungsgeschehen mit Pestiziden in Deutschland?

Die überwiegende Mehrzahl der Vergiftungsmitteilungen an das BfR erfolgt durch Träger der gesetzlichen Unfallversicherungen, die bei beruflichem Kontakt die Mitteilung übernehmen. Inwieweit die Mitteilungen durch Ärztinnen und Ärzte vollständig sind, ist nicht bekannt. Das BfR geht derzeit nicht davon aus, dass die in der Auswertung aufgeführten Fallzahlen repräsentativ für das Vergiftungsgeschehen mit Pestiziden in Deutschland sind.

Stehen neben den am BfR registrierten Fällen weitere Daten zu Vergiftungsfällen mit Pestiziden zur Verfügung?

Weitere Daten zu schweren Vergiftungen stellt die Gesundheitsberichterstattung des Bundes zur Verfügung. Hier werden Krankenhausbehandlungen (Tabelle 1) und Todesfälle (Tabelle 2) durch „Toxische Wirkung von Schädlingsbekämpfungsmitteln (Pestiziden)“ nach Diagnoseschlüssel ICD-10 ausgewiesen. Eine Unterscheidung zwischen Pflanzenschutzmitteln und Bioziden ist nicht möglich. Im 10-Jahres-Zeitraum 2010-2019 wurden 242 Todesfälle durch Pestizideinwirkung dokumentiert, die Mehrzahl davon durch Einwirkung von Insektiziden. Im betrachteten Zeitraum fielen 94 % der laut Todesursachenstatistik erfassten Pestizidfälle (228 Todesfälle) unter den Diagnoseschlüssel "X60-X84 Vorsätzliche Selbstbeschädigung" (Suizid).

Warum registriert das BfR bisher deutlich weniger Fälle als die Giftinformationszentren?

Nach vorherrschender Rechtsauffassung ist die ärztliche Mitteilungspflicht gemäß Chemikaliengesetz (ChemG) auf „Erkrankungen“ durch solche Produkte beschränkt, die diesem Gesetz unterliegen. Bei den ca. 250.000 Beratungen der deutschen GIZ pro Jahr handelt es sich zu etwa 25 % um Fälle mit Produkten, die der Mitteilungspflicht unterliegen könnten. Hierbei werden jedoch in der Mehrzahl Vergiftungsverdachtsfälle beraten, d. h. Kontakte (Expositionen), die nicht zu schweren Gesundheitsschäden führen. Diese Fälle benötigen häufig keine ärztliche Behandlung oder die Exposition wird von der behandelnden Ärztin bzw. vom behandelnden Arzt nicht als mitteilungspflichtige Erkrankung eingeschätzt. Von den GIZ werden Fälle nur im Ausnahmefall dem BfR mitgeteilt: Die GIZ berichten dem BfR gemäß § 16e Abs. 3 ChemG "über im Rahmen ihrer Tätigkeit gewonnene Erkenntnisse, die für die Beratung bei stoffbezogenen Erkrankungen von allgemeiner Bedeutung sind". Eine umfassende Pflicht zur Mitteilung aller Vergiftungsfälle oder Verdachtsfälle durch die GIZ an das BfR besteht zurzeit nicht.

Im Zuge der Einrichtung des nationalen Vergiftungsregisters sollen die Mitteilungspflichten substanziell erweitert werden.

Weitere Informationen auf der BfR-Website zum Thema Pestizide

A-Z Index: Pestizide:

Über das BfR

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist eine wissenschaftlich unabhängige Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Es berät die Bundesregierung und die Bundesländer zu Fragen der Lebensmittel-, Chemikalien- und Produktsicherheit. Das BfR betreibt eigene Forschung zu Themen, die in engem Zusammenhang mit seinen Bewertungsaufgaben stehen.



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